Die Islamische Gemeinde in Marburg war die erste in Hessen, die ihre christlichen Mitbürger zum Fastenbrechen in ein Ramadanzelt einlud. Bis heute ist es das größte und älteste Fest dieser Art in Hessen. Zum zehnjährigen Jubiläum am vergangenen Wochenende kamen allein am Eröffnungsabend mehr als 2000 Menschen aus der ganzen Stadt, um mit ihren muslimischen Nachbarn ins Gespräch zu kommen und nach Sonnenuntergang das Fasten zu brechen.
Said Barkan vom Zentralrat der Muslime in Deutschland wünschte sich, dass es ein solches Fest auch in Frankfurt gäbe: „So wie Sie hier Zusammenhalt und Solidarität leben, das ist etwas Besonderes“, sagte er. „Das ist uns eine Ehre“, formulierte Projektleiter Hamdi Elfarra. Ganz bewusst sei das Ramadanzelt in diesem Jahr auf den „Tag der Nachbarn“ gelegt worden, der bundesweit zum ersten Mal am 25. Mai gefeiert wurde: „Wir freuen uns, mit unseren Kollegen und Nachbarn das Fasten zu brechen“, sagte er. Erstmals wurde er mit einem Ramadanmarkt gefeiert.
So unkompliziert war das nicht von Anfang an. Eingeführt wurde das Ramadanzelt 2009, nachdem erste Pläne für den Neubau einer Moschee in Marburg an einer von der CDU in Marburg angezettelten Diskussion scheiterten. Die Muslime müssten beweisen, dass sie Demokraten seien, hieß es damals. Um die Diskussion zu entschärfen, richtete der frühere Oberbürgermeister Egon Vaupel einen „Runden Tisch der Integration“ ein. Ein „Friedensweg der Religionen“ wurde eingerichtet. Und der Vorsitzende der Islamischen Gemeinde, Bilal El-Zayat, entwickelte die Idee vom Ramadanzelt.
Heute sagt Oberbürgermeister Thomas Spies: „Das Ramadanzelt ist ein Symbol für das Lebensgefühl in dieser Stadt.“ An diesem Ort werde der respektvolle Umgang mit dem Glauben, der Kultur und den Eigenheiten der anderen praktiziert und demonstriert.
Dazu gehört auch ein hervorragendes Verhältnis zur Jüdischen Gemeinde. El-Zayat besucht die hohen Feste der Juden, Amnon Orbach als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde ist regelmäßig Gast in der inzwischen gebauten Moschee – beim Ramadanzelt ohnehin. „Wir machen keine Show“, erklärt El-Zayat, der als Oberarzt im Uni-Klinikum arbeitet: „Wir zoffen uns auch manchmal.“ Aber sie seien „empfindsamer“ füreinander geworden. Und sie hätten im Laufe der Jahre gelernt, dass sie den palästinensischen Konflikt in Marburg nicht lösen könnten. Erst in der vergangenen Woche demonstrierten sie gemeinsam unter dem Titel „Gesicht zeigen – mit Kippa und Kopftuch“ für religiöse Vielfalt. Anlass war der Angriff auf einen Kippaträger in Berlin.
Der Weg der Integration gilt auch innerhalb der Islamischen Gemeinde, in der Schiiten und Sunniten sowie Muslime aus mehr als 50 Nationen beten, unter ihnen viele Studierende und Mediziner. Als die neue Moschee schließlich doch gebaut wurde, erklärte El-Zayat seinen Glaubensbrüdern, dass hier eine „deutsche Moschee“ entstehe – ohne Minarett, ohne Kuppel und ohne Muezzinruf. „Es soll ein offener Ort sein, an dem sich die Marburger wohlfühlen“, sagt El-Zayat. Gepredigt wird selbstverständlich auf Deutsch.
Während des Ramadanzeltes zeichnete Oberbürgermeister Thomas Spies den Richtsberger Verein „Lebenswerter Stadtteil“ mit dem erstmals vergebenen „Christian-Meineke-Preis für kulturelle Interaktion“ aus. Die Idee für die Preisverleihung stammt ebenfalls von der Islamischen Gemeinde, die damit den 2016 verstorbenen Integrationsbeauftragten der Universitätsstadt ehren wollte. Der mit 1500 Euro dotierte Preis würdigt Menschen, die sich in besonderer Weise für das soziale und friedliche Zusammenleben der Menschen einsetzen.
Gesa Coordes