Wie können Menschen mit unterschiedlicher Herkunft, Religion und Lebensgeschichte friedlich in einer Stadt zusammenleben? Xiaotian Tang engagiert sich in Marburg ehrenamltich dafür, dass sich alle Menschen zu Hause fühlen.

Marburg ist ein Dorf im Vergleich zur chinesischen Vier-Millionen-Stadt Xian, aus der Xiaotian Tang kommt. Aber die romantische Stadt an der Lahn sei nicht langweilig, sagt die 33-Jährige: „Marburg ist lebendiger, vielfältiger und bunter, als ich zunächst dachte.“ Seit drei Jahren engagiert sich die Chinesin als ehrenamtliche Integrationsbeauftragte der Universitätsstadt Marburg und ist so begeistert von ihrer Aufgabe, dass sie das Thema inzwischen zum Beruf gemacht hat: Seit Mai 2022 arbeitet sie im Büro für Integration des Landkreises Marburg-Biedenkopf.

Vor zwölf Jahren kam Xiaotian Tang zum Soziologiestudium nach Marburg. Den Bachelor hatte sie bereits gemacht. Und nun wollte die abenteuerlustige Frau nach Deutschland, das in China als ein „Ursprungsland der klassischen Soziologie“ gilt. Der Start war schwierig, sagt sie im Rückblick. Denn ihr Deutsch reichte zunächst nur zum Lesen. In dieser Phase half ihr der „Verein der chinesischen Wissenschaftler und Studenten“, der die mehr als 300 chinesischsprachigen Studierenden in Marburg vertritt.

Xiaotian Tang engagierte sich nicht nur in der Vereinigung, die heute Orientierungsveranstaltungen für Neulinge bietet. Sie ging 2015 in den Ausländerbeirat, wo ihr Migranten mit ganz unterschiedlichen Berufen, Religionen und Lebensgeschichten begegneten. „Das hat Türen geöffnet“, sagt sie: „Die Stadt bemüht sich sehr, Vereine, Gruppen und Einzelpersonen zum Mitmachen und zum Mitreden zu gewinnen.“
Im Februar 2020 war sie zuletzt bei ihrer Familie. Da gab es bereits drastische Ausgangssperren und ständige Fieberkontrollen in China. Als sie zurückkam und sich die Pandemie auf Europa ausweitete, wurde sie auf der Straße angeschrien, weil sie noch vor der offiziellen Maskenpflicht einen Mund-Nasen-Schutz trug. „Du Virus“, beschimpfte man sie. „Ich dachte, dass Marburg in diesem Bereich schon weiter sei“, sagt Xiaotian Tang.

Exakt in dieser Phase wurde sie Marburgs zweite Integrationsbeauftragte und löste den Politikwissenschaftler Shérif Korodowou ab. Ihr Ziel: Das Miteinander und das Zusammenleben der Kulturen in Marburg zu fördern. Von Anfang an hielt Xiaotian Tang eine wöchentliche Sprechstunde ab. Sie half Menschen, die Probleme mit Behörden hatten, konnte afrikanische Künstlerinnen auf der Suche nach Räumen unterstützen, beriet Engagierte, beteiligte sich an Arbeitsgruppen und Runden Tischen.
Am Herzen liegt ihr der Integrationswettbewerb der Stadt Marburg. Mit diesem Preis wurden etwa eine muslimische Mädchengruppe, ein interkultureller Fußballtreff und ein Tanzprojekt für geflüchtete Jugendliche ausgezeichnet. Zuletzt ging die Auszeichnung an die Initiative Bruks, eine Vereinigung aus russischen, belarussischen, ukrainischen und kasachischen Studierenden, die Kriegsflüchtlingen ehrenamtlich helfen.

Mitinitiiert hat sie einen Volkshochschulkurs zum Kennenlernen des politischen Systems in Deutschland und der Marburger Stadtverwaltung, der nun bereits zum zweiten Mal läuft. Dabei besuchen die Zugezogenen auch Fachdienste und Behörden vor Ort. Noch während des Studiums wurde Xiaotian Tang mit dem DAAD-Preis des Auswärtigen Amtes für bemerkenswertes gesellschaftliches Engagement ausgezeichnet. Neben ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit als Integrationsbeauftragte und im Ausländerbeirat ist sie Mentorin im International Office der Universität.

Für Xiaotian Tang, die ihre Masterarbeit über die Beziehungen zwischen Deutschland und China und die neue Seidenstraße geschrieben hat, bedeutet Integration keine einseitige Anpassung. Sie möchte Ausländer und Migranten motivieren, die deutsche Kultur besser kennenzulernen. Sie fragt aber auch danach, was die Stadt tun kann, damit sich alle Menschen in Marburg zu Hause fühlen. Es sei wie in dem chinesischen Sprichwort von den Flüssen, die ins Meer fließen: „Das Meer fragt nicht nach dem Ursprung der Flüsse“, so Tang: „Es heißt sie alle willkommen.“

Sprechstunde der Integrationsbeauftragten: Donnerstags 17 bis 18 Uhr, Temmlerstraße 5, Tel. 0176/18201481, Xiaotian.Tang@marburg-stadt.de.

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Gesa Coordes