Die Unterschriftensammlung war erfolgreich. Ein Experte vom Fachverband „Mehr Demokratie“ ist sich aber sicher, dass das Bürgerbegehren ungültig ist.

Die Unterschriften für das geplante Bürgerbegehren gegen das Mobilitätskonzept Move 35 haben die konservativen Initiatoren bereits seit zwei Wochen zusammen. „Wir haben den Nerv der Marburgerinnen und Marburger voll erwischt“, sagt der Marburger CDU-Vorsitzende Dirk Bamberger. Ob es damit im Winter tatsächlich einen Bürgerentscheid – also eine Abstimmung aller Bürger – geben wird, ist dennoch unklar.
Der Gesetzgeber hat den Bürgerbegehren in Hessen nämlich zahlreiche Hürden in den Weg gelegt. Dabei sind die Unterschriften, die nun gesammelt wurden, in diesem Fall ein vergleichsweise überschaubares Problem. Die Bürgerbegehren müssen auch juristisch den Vorgaben entsprechen. So vermuteten CDU, FDP und „Bürger für Marburg“ hinter der Veränderung des Beschlusses zu Move 35 bereits „juristische Trickserei“. Das Mobilitätskonzept wurde nämlich von der rot-grünen Mehrheit im Stadtparlament nicht mehr beschlossen, sondern nur noch „zu Kenntnis genommen“. Die einzelnen Maßnahmen aus dem Konzept gehen ohnehin noch einmal durchs Stadtparlament.

„Ob es eine Kenntnisnahme ist oder nicht, spielt gar keine Rolle“, sagt dagegen Dr. Edgar Wunder vom Fachverband „Mehr Demokratie“. Der Experte, der jede Woche durchschnittlich drei Bürgerbegehren unter die Lupe nimmt, unterrichtet angehende Juristen zum Thema. Der Verein „Mehr Demokratie“ hat sich die Förderung der direkten Demokratie auf die Fahnen geschrieben, berät also meist Bürgerinitiativen, auf Anfrage aber auch Stadtverwaltungen.
Wunder ist sich sicher, dass das Marburger Bürgerbegehren zu Move 35 ungültig ist. Der Grund: Der zwingend vorgeschriebene Kostendeckungsvorschlag entspreche nicht den Vorgaben. Das Marburger Bürgerbegehren fordert neben einer neuen Bürgerbeteiligung, dass ein Planungsbüro die in Move 35 enthaltenen 77 Maßnahmen „vollständig neu entwickelt“. Die Kosten schätzen die Initiatoren auf 225.000 Euro. Das Geld soll, so heißt es im Bürgerbegehren, „aus den vorhandenen Haushaltsmitteln der Produkte 182010 (Wirtschaftsplanung und Regionalentwicklung), 161520 (Stadtentwicklungsplanung“ und 772010 (Bürgerbeteiligung)“ kommen. Sollte das nicht reichen, sei es „auf der Dezernatsebene auszugleichen“.

Letzteres könnte jedoch unter jedem Bürgerbegehren stehen, erläutert Edgar Wunder. Es muss daher genau benannt werden, was die Stadt Marburg konkret einsparen soll, um auf den Betrag zu kommen. Es reiche nicht, sich mit Positionsnummern aus dem Haushalt zu begnügen: „Daran scheitert die Gültigkeit des Bürgerbegehrens definitiv“, ist sich der Experte sicher: „Das ist rechtlich vollkommen eindeutig.“
Er listet aber noch eine Reihe weiterer – zumindest möglicher – rechtlicher Probleme im Bürgerbegehren auf: Es sei nicht klar, wie die Initiatoren auf den Betrag von 225.000 Euro gekommen seien. Für die zusätzliche Bürgerbeteiligung gebe es gar keinen Kostendeckungsvorschlag. Man dürfe eigentlich immer nur eine Frage zur Abstimmung stellen. Im Begehren zu Move 35 sind es aber zwei Fragen: „Wenn eine Stadtverwaltung gutmütig ist, wird sie das umformulieren, sodass es zu einer einzigen Frage zusammengezogen wird“, sagt Wunder. Zudem fehle die Schilderung der Vorgeschichte, mit der die Bürgerinnen und Bürger korrekt und halbwegs vollständig informiert werden. „Zwingend zur Unzulässigkeit führt aber der Kostendeckungsvorschlag. Da gibt es auch kein rechtliches Hintertürchen“, so Edgar Wunder.

Gesa Coordes

Entscheidung über die Zulässigkeit

Bis Anfang September wollen die Initiatoren des Bürgerbegehrens gegen Move 35 die Unterschriftenlisten einreichen. In der Stadtverwaltung wird dann geprüft, ob die Unterschriften gültig sind. Es muss sich um wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger aus Marburg handeln. Um gefälschte Unterschriften auszuschließen, muss neben der Meldeadresse auch das Geburtsdatum angegeben werden. Normalerweise sind zehn bis 15 Prozent der Unterschriften ungültig.
Zudem wird juristisch geprüft, ob die formalen Voraussetzungen erfüllt sind. Oft holen die Kommunen dazu Rechtsgutachten des Hessischen Städte- und Gemeindebundes ein. Dann muss die Stadtverordnetenversammlung über die Zulässigkeit entscheiden. Sie darf dabei keine politische Entscheidung fällen. Es geht um eine reine Rechtsfrage.
Erklärt die Stadt das Bürgerbegehren für unzulässig, können die im Bürgerbegehren benannten Vertrauenspersonen Klage beim Verwaltungsgericht einlegen.

gec

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg