Über was diskutiert eigentlich das Marburger Kinder- und Jugendparlament? Schüler Lasse Wenzel sitzt schon seit der Grundschule in dem Gremium und hat dem Express Auskunft gegeben.
Als Lasse Wenzel in der dritten Klasse war, störte ihn, dass der Fußballplatz seiner Schule keine Linien wie eine Torlinie hatte. Um das zu ändern, lies er sich ins Kinder- und Jugendparlament (KiJuPa) in Marburg wählen. „Dann habe ich einen Antrag gestellt, dass da Linien hingemalt werden sollen. Das wurde dann ein Jahr später erst gemacht, aber jetzt sind sie da“, sagt der 16-Jährige heute. Er ist mittlerweile Vorsitzender des KiJuPas in Marburg und leitet am heutigen Donnerstag die Sitzung des KiJuPas.
Mit weiteren sieben Kindern und Jugendlichen, die im Vorstand aktiv sind, wird er zu Beginn der heutigen KiJuPa-Sitzung vor dem Parlament sitzen und in die Menge der jungen Parlamentarier und Parlamentarierinnen schauen. Die Jüngsten sind hier sieben Jahre und die Ältesten 19 Jahre alt. Letztere haben gerade ihr Abitur gemacht und scheiden nun aus dem Parlament aus.
Als Delegierter steht Lasse für die Interessen seiner Schule. Pro 200 Schüler und Schülerinnen einer Schule wird ein Delegierter oder eine Delegierte ins KiJuPa gesandt. So wurde auch Lasse Wenzel erstmals in Parlament gewählt, als er noch in der Grundschule war. Die Wahl erfolgt alle zwei Jahre und findet im März 2024 wieder statt. Sieben- bis zwölfmal im Jahr trifft sich der Vorstand, um Sitzungen des KiJuPas vorzubereiten. Die Sitzungen des Parlaments finden sieben Mal im Jahr statt. Hier werden Anträge diskutiert, die an die Stadtverordnetenversammlung oder städtische Ausschüsse gestellt werden sollen. Als nächstes wird zum Beispiel beantragt, dass die Uhr im Georg-Gassmann-Stadion beleuchtet wird. Auch darüber wird bei der heutigen Parlamentssitzung gesprochen.
Die Schüler und Schülerinnen tagen im Sitzungssaal des Rathauses. „Gibt es Anmerkungen zum Protokoll?“, ist die erste Frage des Abends, die Lasse stellt. Die Stadtverordnetenversammlung hat in genau demselben Sitzungsraum in der Barfüßerstraße vor einer Woche getagt. Gemeinsam mit vier seiner KiJuPa-Kollegen und -Kolleginnen hat Lasse dort letzte Woche eine Rede gehalten. Das passiere einmal im Jahr. Lasse erklärt: „Wir berichten darüber, was wir erreicht haben, was wir noch erreichen wollen und inwiefern wir mit der Politik in Marburg zufrieden sind oder auch nicht.“ Sein Vorstandskollege Antonin Bau war auch dabei. Er ist 14 Jahre alt, erst seit März 2022 im KiJuPa und habe noch nie vor so vielen Politikern und Politikerinnen gesprochen: „Für mich war es ziemlich aufregend, auch weil wir vor der Stadt alle Marburger Kinder und Jugendlichen vertreten haben.“ Er sagt: „Wir stellen an die Stadtverordnetenversammlung explizite Forderungen. Letztes mal war das, dass die Stadtverordneten auf Kinder und Jugendliche zugehen sollen, dass sie ihnen ihre Arbeit vorstellen sollen. Das machen sie noch sehr wenig.“ Zudem hätten sie das Verhalten des hauptamtlichen Magistraten bei der Sondersitzung am 2. Februar kritisiert. Der Bundeskanzler Olaf Scholz war an diesem Tag im KiJuPa zu Besuch. „Der hauptamtliche Magistrat war anwesend und hat viel aufs Handy geschaut und hat Lacher nebenbei gegeben und das hat uns verunsichert“, erläutert Antonin.
Abgesehen davon sind die beiden sehr zufrieden mit der Einbindung von Kindern und Jugendlichen in die Marburger Politik. Antonin dürfe als Vorstand des KiJuPas zum Beispiel verschiedenen städtischen Ausschüssen oder Beiräten beiwohnen. Hier dürfe der 14-Jährige Fragen stellen, Rederecht fordern und teilweise auch abstimmen. Zudem würden die Anträge des KiJuPa, die an die Stadtverordnetenversammlung gestellt werden, sehr häufig angenommen, so Antonin. Nur selten würden Anträge abgelehnt und dann mit guter Begründung. Er sagt: „Es ist halt nicht selbstverständlich, dass Kinder und Jugendliche so viele Rechte haben, wie wir hier in Marburg und ich glaube, da kann man nur sagen, dass man da stolz sein kann, dass wir hier so ein Gremium haben, was in der Stadt verankert ist.“
Das sei jedoch auch notwendig, da die Meinungen von Kindern und Jugendlichen nicht ausreichend von erwachsenen Politikern und Politikerinnen vertreten werden könnten, sagt Lasse. Erwachsene Politiker und Politikerinnen würden meist von Menschen über 18 Jahren gewählt und verträten deswegen auch deren Interessen. Die beiden Vorstandsmitglieder des KiJuPas würden hingegen durch Kinder und Jugendliche gewählt und könnten deshalb besser deren Interessen vertreten. Antonin fasst das so zusammen: „Die Erwachsenenpolitik redet über Zukunft, aber wir sind die Zukunft.“
Dabei sei ein weiterer Unterschied zu der von Lasse und Antonin sogenannten ‘Erwachsenenpolitik‘, dass die Mitglieder des KiJuPas überparteilich seien. Lasse erklärt, dass das wichtig ist, „weil wir nicht für unsere parteipolitische Arbeit gewählt werden, sondern für die Vertretung der Leute an unseren Schulen. Wir vertreten also unsere Wähler und Wählerinnen.“ Lasse zweifelt jedoch daran, dass er sich ausschließlich für die Interessen seiner Schule einsetzen könnte, wenn er zusätzlich die Interessen einer Partei vertreten müsste. Er erinnert an die Linien des Fußballplatzes seiner Schule und sagt: „Das zeigt das KiJuPa ziemlich deutlich, dass wir uns sehr für unsere eigenen Forderungen einsetzen können.“
Diese Arbeit leisten die Kinder und Jugendlichen neben der Schule, teilweise würden sie dafür sogar vom Unterricht befreit werden. Antonin sagt, er würde zwei bis vier Nachmittage die Woche mit KiJuPa-Aufgaben verbringen. Lasse zeigt auf sein Handy: Ein Google-Kalender offenbart in verschiedenfarbigen Kästchen über die letzte Woche verteilt, welche Termine anstanden. „Die blauen Kästchen sind vom KiJuPa und die braunfarbigen sind Nachhilfe, Zahnärzte…“, erklärt er. Insgesamt hätte er demnach diese Woche elf Stunde (inklusive Fahrten) ins KiJuPa investiert. Das Strukturieren habe er bei seinem Praktikum bei Oberbürgermeister Thomas Spies gelernt: „Da war ich sehr beeindruckt von seinem Terminkalender und wie gut das strukturiert ist.“ Schnell fügt er hinzu: „Aber Herr Spies benutzt natürlich keinen Google-Kalender.“
Die Idee für sein Praktikum beim OB kommt nicht von irgendwoher. Lasse sagt: „Ich habe vor, in die Berufspolitik zu gehen und möchte da möglichst wenig falsch machen und natürlich eine möglichst gute Laufbahn hinbekommen.“ Deshalb zeichnet der 16-Jährige sein Interview mit dem Marburger Express auf. Im Nachhinein, morgen oder auch in seinem späteren Leben als Berufspolitiker, möchte er nachvollziehen können, warum er was, wann gesagt hat. Das könne wichtig werden.
Leonie Theiding