Marburg ist der erste Bahnhof in Mittelhessen, der mit Videokameras ausgestattet wurde. Seit einigen Wochen hängen die Aufzeichnungsgeräte im Empfangsgebäude und an den Bahnsteigen. Der Grund dafür sind allerdings weder viel demoliertes Mobiliar noch viele Diebstähle oder Schlägereien. Vielmehr handelt es sich um eine bundesweite Initiative der Bahn, mit der Bahnhöfe in ganz Deutschland videoüberwacht werden sollen. Die zehn Kameras am Marburger Bahnhof zeichnen zunächst nur auf. Das Material wird spätestens nach 30 Tagen gelöscht. Ausgewertet wird es nur, wenn tatsächlich Straftaten passiert sind.
Möglich ist eine Überwachung normalerweise nur, wenn es sich um Kriminalitätsschwerpunkte handelt. Für den Marburger Hauptbahnhof gilt jedoch eine Ausnahme, da er als Privatgelände gilt. Das ist auch der Grund, warum die Fahrstühle der Stadt überwacht werden können. In Frankenberg, wo die Junge Union eine Kameraüberwachung gefordert hatte, wäre das viel komplizierter, weil der Bahnhof inzwischen der Stadt gehört. Ohnehin werden zunächst große und mittlere Städte mit Kameras ausgestattet. Dass Marburg nun vor Kommunen wie Gießen dran war, hängt damit zusammen, dass sich die Kameras in Marburg unkomplizierter installieren ließen. In Gießen soll die Videoüberwachung innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre starten.
Nach Einschätzung von Johannes Maaser von der Gewaltprävention beim Marburger Ordnungsamt ist es im Moment in der gesamten Stadt sehr ruhig. Auch in der Vergangenheit sei der Bahnhof kein Kriminalitätsschwerpunkt gewesen. Allerdings gebe es an so einem Knotenpunkt, der täglich von 12.000 Menschen frequentiert werde, in Wellenbewegungen Ärger – etwa von Jugendlichen, die nicht nur den Internetzugang in der Eingangshalle nutzen, sondern manchmal auch „Blödsinn“ machten. Zudem habe die Bahn regelmäßig mit Vandalismus in den Toilettenanlagen zu kämpfen. Aktuell sei der Bahnhof allerdings „sehr friedlich“.
6000 Kameras in 900 Bahnhöfen
An deutschen Bahnhöfen sind im vergangenen Jahr knapp 2000 Delikte mit Hilfe von Videoüberwachung aufgeklärt worden. Besonders häufig waren Körperverletzungen (790 Fälle), gefolgt von Diebstählen (300) und Sachbeschädigungen (100). Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervor.
Danach werden derzeit bundesweit rund 900 Bahnhöfe mit mehr als 6000 Videokameras überwacht. In vielen Bahnhöfen werden die Bilder auch live durch die Bundespolizei verfolgt. Im Zuge eines Zehn-Jahres-Programms baut die Deutsche Bahn die Videoanlagen an zahlreichen Bahnhöfen in Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium kontinuierlich aus. Die Bundesregierung sieht darin ein notwendiges Instrument der Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung.
Dagegen werfen die Linken CSU-Innenminister Horst Seehofer vor, mit dem Ausbau der Videoüberwachung „Schritte in den Überwachungsstaat“ zu gehen: Ein starker Sozialstaat, Präventionsarbeit und mehr Personal bei Polizei und Justiz seien ein besserer Garant für die Sicherheit als jede Videokamera, so der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat. Der Bundesbeauftragte für Datenschutz betont, dass Zugreisende erkennen müssten, dass sie sich „im Einzugsbereich hoheitlich betriebener Videoüberwachung“ befinden. Daher gibt es etwa in Marburg Hinweistafeln am Eingang.
Tatsächlich sagt die Wirkungsforschung, dass konventionelle Videoüberwachung zumindest bei Sachbeschädigungen und Diebstählen helfe, berichtet der Marburger Präventionsexperte Johannes Maaser. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hält die lange Speicherfrist für die Videoaufzeichnungen der Bahn allerdings für problematisch. Sie war nach den versuchten Bombenattentaten auf Regionalzüge der Deutschen Bahn im Sommer 2006 auf bis zu einem Monat ausgedehnt worden.
Gesa Coordes