„Keine Propaganda für Remigration“: Am Montag (29. Juli) findet am Erwin-Piscator-Haus eine Kundgebung gegen den Auftritt des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner statt. Auch eine Demo ist geplant.

In Marburg regt sich Widerstand gegen den geplanten Auftritt von Martin Sellner. Der rechtsextreme Aktivist hatte kürzlich bekannt gegeben, für eine Lesung aus seinem Buch „Remigration: Ein Vorschlag“ in die Universitätsstadt kommen zu wollen. Wo genau der Auftritt stattfindet, ist bislang nicht bekannt – wahrscheinlich ist aber, dass Sellner in Privaträumen aus seinem Buch liest. Ein Verbot der Veranstaltung dürfte aus diesem Grund schwierig umzusetzen sein.
Die Stadt Marburg wehrt sich dennoch gegen Sellners Lesereisen-Stopp. So setzt sich die Stadtverwaltung seit vergangener Woche dafür ein, dass Sellner die Einreise in die Bundesrepublik verweigert wird. Mehrere Staaten haben in der Vergangenheit bereits Einreiseverbote für Sellner verhängt – so etwa die USA oder Großbritannien. Auch in Deutschland besteht seit vergangenem März eigentlich ein solches Verbot. Im April konnte Sellner jedoch per Eilantrag erreichen, dass das Einreiseverbot gegen ihn ausgesetzt wird.

Die Stadtverwaltung sucht unabhängig davon andere Wege, um Sellners Auftritt entgegenzuwirken. Unter dem Titel „Keine Propaganda für Remigration“ findet am Tag der Lesung um 18 Uhr eine Kundgebung vorm Erwin-Piscator-Haus statt. Die Veranstaltung wird gemeinsam von der Stadtverwaltung und dem Marburger Netzwerk für Demokratie und gegen Rechtsextremismus organisiert. In der Ankündigung erklärte Oberbürgermeister Thomas Spies: „Wir missbilligen deutlich und mit Nachdruck, dass Martin Sellner in Marburg Thesen zur Vertreibung eines Teils unserer Einwohner*innen propagieren will.“ Sellners Gedanken seien menschenfeindlich und eine Gefahr sowohl für das Gemeinwesen als auch für die Demokratie und die Verfassung. Die Universitätsstadt Marburg verstehe sich im Konstrast zu Sellners Thesen als „vielfältige, tolerante und weltoffene Stadt“, so Spies.

Verschiedene linksgerichtete Organisationen aus Marburg rufen zudem zu einer Demonstration gegen Sellner auf – darunter der Kreisvorstand der Partei Die Linke, die Interventionistische Linke Marburg, das Offene Antifatreffen Marburg oder die Marburger Gruppe Communist Action and Theorie. Die Demonstration startet ebenfalls am Montag um 15 Uhr 30 auf dem Marktplatz. Ziel ist die Lutherstraße. Dort stehen Verbindungshäuser mehrerer Marburger Burschenschaften, gegen die sich die geplante Demonstration ebenfalls richtet. Sellner sei bei den Marburger Burschenschaften schon in der Vergangenheit Gast gewesen, erklärte Dennis Neumann, der Pressesprecher des Kreisvorstandes. Dass der rechtsextreme Aktivist erneut Halt in der Universitätsstadt mache, zeige einerseits, „dass es nicht nur ein buntes, sondern auch ein braunes Marburg gibt.“ Andererseits sieht der Kreisvorstand darin einen Beleg dafür, dass ansässige Burschenschaften Teil eines europaweiten, rechten Netzwerkes sind. „Als elitäre Kaderschmiede stellen die Marburger Burschenschaften das Spitzenpersonal dieses extrem rechten Netzwerks, dass versucht die Demokratie zu beseitigen und einen völkischen Führerstaat zu errichten,“ so Neumann.

Auch die Gruppe Communist Action and Theorie vermutet eine Beziehung zwischen Sellner und den Burschenschaften. Es sei davon auszugehen, dass seine Lesung in einem der Verbindungshäuser stattfinden werde, sagt Pressesprechering Katja Gunst. Die Gruppe kritisiert deswegen, dass die von der Stadtverwaltung organisierte Kundgebung nicht in der Lutherstraße stattfindet: „Statt sich dem Protest von Marburg gegen Rechts anzuschließen und dort hinzugehen, wo es die Faschist*innen stört, betreibt der Oberbürgermeister eine Imagekampagne, die niemanden hilft. Die Stadt Marburg ist nicht nur bunt und tolerant, wie Thomas Spies gerne mal verkündet, sondern auch der Ort, wo durch die Burschenschaften fest verankerte und bundesweit vernetzte rechte Strukturen bestehen,“ erklärt Gruppenmitglied Noa Patzke.

Auch die hessischen Staatskanzlei missbilligt Sellners Auftritt in Marburg: „Wir haben schon genügend Rechtsextremisten im eigenen Land, da braucht es keine braunen Importe aus Österreich, die hier ihre Deportations-Fantasien verkünden,“ erklärte Uwe Becker, der Antisemitismusbeauftragte der hessischen Landesregierung. Sellner teile Menschen in „mit-lebenswert und nicht mit-lebenswert auf.“ Seine Ideologie habe in Hessen keinen Platz. „Wo Remigration draufsteht, steckt Deportation drin,“ so Becker.

Hintergrund: Unter dem Stichwort „Remigration“ planen rechtsextreme Kräfte die systematische Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte. Bekannt wurde der Begriff durch ein – zunächst geheimes – Treffen in Potsdam im November 2023. Einer der Teilnehmer des Treffens war Martin Sellner, der dort seinen „Masterplan zur Remigration“ vorstellte. Das Treffen wurden im Januar durch die Recherchen des Netzwerks „Correctiv“ aufgedeckt. Deutschlandweit kam es in Folge zu Protesten gegen Rechtsextremismus. In Marburg versammelten sich rund 16.000 Menschen vor dem Erwin-Piscator-Haus.

LB

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg