Arbeitsalltag auf den Lahnbergen: Intensivpflegerin Vanessa Wolter erzählt von der desolaten Situation, in der sich das Personal im privatisierten Uniklinikum befindet. Am 6. und 9. Februar berichten auch ihre Kollegen der Öffentlichkeit bei zwei “digitalen Stadtversammlungen”.

Seit Jahren klagen Betriebsrat und Gewerkschaft Verdi über Personalmangel und schlechte Arbeitsbedingungen am Uniklinikum Gießen-Marburg (UKGM). Jetzt reicht es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Im Dezember haben sie der Klinikleitung ein Ultimatum gestellt und fordern einen Tarifvertrag der Kündigungen ausschließt und endlich für bessere Arbeitsbedingungen sorgt.
In zwei online durchgeführten „Stadtversammlungen“ wollen die Krankenhausbeschäftigten am 6. und 9. Februar die Bürgerinnen und Bürger in der Region über die Situation am Klinikum informieren – und aufzeigen, was aus ihrer Sicht dringend nötig ist für bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Gesundheitsversorgung in unserer Uniklinik. Einen Vorgeschmack gibt Intensivpflegerin Vanessa Wolter vom Uniklinikum in Marburg hier im Express-Interview.

Express: Sie sind Intensivpflegerin am Uniklinikum. Wie ist Ihre Arbeitsbelastung? 

Vanessa Wolter: Die Schichten mit einer zu hohen Arbeitsbelastung sind leider keine Einzelfälle. Es ist die Regel. Zu jeder Schicht fahre ich mit der Sorge, dass sich heute bloß niemand krank melden darf, dass bloß kein Patient reanimiert werden muss, dass bloß keine unvorhergesehene Situation auftreten darf. Das hat Auswirkungen auf meine eigene Gesundheit, aber natürlich auch auf die Qualität der Versorgung, die wir leisten können. Selbst an Tagen, an denen niemand aus dem Team fehlt, betreue ich zwei sehr pflegeaufwändige Intensivpatienten. Da habe ich gerade die Zeit, um das Nötigste zu schaffen. Wenn nichts schief geht. An Pausen ist nicht zu denken.

Was sind die größten Probleme? Was muss am dringendsten geändert werden?

Es fehlt an Personal. Bei uns auf Intensivstation, aber auch auf den anderen Stationen und in allen anderen Arbeitsbereichen des Uniklinikums. Mir ist kein Bereich bekannt, wo meine Kolleginnen und Kollegen nicht auch unterbesetzt, überlastet und ausgebrannt sind. Die Arbeitsbelastungen treiben jeden Tag gute und erfahrene Kolleginnen und Kollegen dazu, ihre Stelle zu reduzieren oder gleich komplett zu kündigen. Wir machen uns jetzt auf den Weg für einen Tarifvertrag, der Arbeitsbedingungen schafft, die eine Perspektive bieten, zu bleiben oder sogar zurückzukommen. Ich will in einem Gesundheitssystem arbeiten, an dem der Mensch an erster Stelle steht und nicht die Profite. Auch darum geht es uns in unserer neuen Krankenhausbewegung am UKGM. Wir haben noch lange nicht aufgegeben.

Wie hält man die Situation dauerhaft durch?

Für mich ist ein Hoffnungsschimmer, dass wir es mit unserer Bewegung jetzt selbst in die Hand nehmen, gute Bedingungen am UKGM für uns und unsere Patientinnen und Patienten zu schaffen. In allen Bereichen des Klinikums führen wir tausende Gespräche miteinander darüber, wie wir zukünftig arbeiten müssten, um den eigenen Ansprüchen an eine gute Pflege wieder gerecht zu werden. Ich arbeite in einem wunderschönen Beruf, aber wenn sich an der Situation nichts ändert weiß ich nicht, wie es sich noch verhindern lässt, dass dieses System kollabiert. Ich bin bereit, nochmal alles zu geben und um unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dafür brauchen wir jede Unterstützung. 

Intensivpflegerin Vanessa Wolter zur Situation am Uniklinikum: „Zu jeder Schicht fahre ich mit der Sorge, dass sich heute bloß niemand krank melden darf…“ (Foto: privat)

Sie haben im Dezember der Klinikleitung ein Ultimatum gestellt. Was haben Sie vor?

Wir wollen endlich wieder alle unsere Patientinnen und Patienten gut versorgen können.  Deswegen fordern wir einen Tarifvertrag Entlastung am UKGM. Das bedeutet mehr Personal, wirksame Entlastung und Beschäftigungssicherung für alle Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin keine Sicherheit haben, wie lange es ihren Arbeitsplatz noch gibt. Das betrifft zum Beispiel meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Patiententransport. 4163 Kolleginnen und Kollegen haben mit ihrer Unterschrift erklärt, dass sie sich für diese Forderungen einsetzen werden und bereit sind, als letztes Mittel der Wahl in den Streik zu treten, falls es bis zum Ende des Ultimatums keine Verbesserungen gibt. Wir und unsere Patientinnen und Patienten können nicht länger auf Verbesserungen warten! 

Was erhoffen Sie sich von den Online-Stadtversammlungen in Marburg und Gießen?

Am UKGM sind wir als Maximalversorger der Rettungsanker für alle Menschen in der Region, falls sie mal in eine gesundheitliche Notlage kommen. Wir wollen, dass sich jeder sicher sein kann, in so einer Notlage bei uns die beste Versorgung zu bekommen. Aktuell ist das leider häufig das Gegenteil: Durch Unterbesetzung besteht täglich das Risiko von Patientengefährdung. Um das zu verändern, brauchen wir die Unterstützung aller! Bei der Stadtversammlung wollen wir allen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus der Region einen Einblick geben, wie die Zustände am UKGM aktuell wirklich sind und informieren, wie sie uns unterstützen können. Denn nur gemeinsam können wir wieder eine gute Gesundheitsversorgung am UKGM erreichen. 

Interview: Georg Kronenberg

Termine der Stadtversammlungen

Die von der Gewerkschaft Verdi initiierte „Krankenhausbewegung Gießen-Marburg“ lädt am 6. Februar um 18 Uhr zur Online-Stadtversammlung Gießen und am 9. Februar um 18 Uhr zur Online-Stadtversammlung Marburg ein.
Anmeldung und weitere Informationen:  https://krankenhausbewegung-ukgm.de/#veranstaltungen.

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Lars Bieker und privat