Erster Kreisbeigeordneter Marian Zachow verlässt den Landkreis

Anfang Dezember hat der langjährige Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow den Landkreis Marburg-Biedenkopf verlassen. Der ordinierte Pfarrer tritt ein neues Amt als theologischer Vorstand der Diakonischen Stiftung Wittekindshof an und kehrt damit zugleich zu seinen Wurzeln zurück. Zudem liegt seine neue Wirkungsstätte in der Nähe des Arbeitsortes seiner Ehefrau, die seit drei Jahren Professorin in Bielefeld ist. Die vierköpfige Familie kann somit die anstrengende Pendelei hinter sich lassen. Im Express-Interview spricht er über Krisen und Erfolge, Bahnlinien und gerettete Fachwerkhäuser, Geflüchtete und lebendige Dörfer.

Express: Sie haben zehn Jahre lang als Dezernent für die Bereiche Schule, Haus der Bildung, Integration und Arbeit sowie Verkehrsinfrastruktur zahlreiche Projekte im Landkreis Marburg-Biedenkopf vorangetrieben. Was waren für Sie die größten Erfolge?

Marian Zachow: Dass wir diesen Landkreis in sehr bewegten Zeiten gut durch den Sturm geführt haben. Wir hatten nicht nur die Coronakrise, sondern auch der Bau der A 49 mit seinem kaum vorstellbaren Polizeieinsatz. Das war eigentlich ein Landesprojekt, aber hinter den Kulissen spielte der Landkreis mit seinen Verfügungen eine erhebliche Rolle. Und kaum hatten wir die Coronakrise mit ihren Folgen bewältigt, folgte bereits der Ukrainekrieg, als wir innerhalb von acht Wochen über 3000 Menschen hier unterbringen mussten. Und auch gleich am Anfang meiner Laufbahn stand die große Herausforderung von über 4000 Flüchtlingen, die es zu integrieren galt.

Das Modell Marburg-Biedenkopf bei der Unterbringung und Betreuung geflüchteter Menschen trägt Ihre Handschrift. Was ist das Besondere daran?

Marian Zachow: Bis 2014 schickte man Geflüchtete oft in große Container-Quartiere am Stadtrand, wodurch sie oft isoliert waren. Unter dem Stichwort „Dorf statt draußen“ haben wir etwas Neues gewagt. Wir bringen die Menschen konsequent auf den Dörfern unter, obwohl der Verwaltungs- und Betreuungsaufwand viel größer ist. Aber gleichzeitig ist die Akzeptanz größer und das Hineinwachsen in die Gesellschaft geht schneller als in isolierten Notquartieren. Wer in Weipoldshausen oder Hommertshausen wohnt, muss sich selbst versorgen, einkaufen und mit den Menschen in der Nachbarschaft sprechen. Diese Strategie hat sich ausgezahlt. Integration funktioniert auf dem Dorf auszeichnet. 2014 hat man uns für unseren Weg noch für verrückt erklärt. 2016 gab es internationale Anerkennung für das Positiv-Beispiel Marburg-Biedenkopf. Das reichte von einer amerikanischen Zeitung über das italienische Fernsehen bis zum französischen Bundesamt für Migration, das mich einlud, weil die Kollegen wissen wollten, wie man die Flüchtlingsunterbringung souverän managt. 

Reicht das auch jetzt noch? Die aktuelle Diskussion scheint ja in eine andere Richtung zu weisen.

Marian Zachow: Ich hoffe, dass das Modell Marburg-Biedenkopf auch in Zukunft so weiterlaufen kann. Wir hatten den Vorteil, dass wir bei der Flüchtlingspolitik einen sehr großen parteiübergreifenden Rückhalt hatten.

Sie haben in der gesamten Zeit in einer großen Koalition mit der SPD zusammenarbeitet. Was braucht es, damit so ein Bündnis funktioniert?

Marian Zachow: Viel gegenseitiges Vertrauen, Respekt vor den Positionen des anderen und eine breite menschliche Nähe. Es entsteht ein gemeinsames Wir-Gefühl, wenn die  Koalitionäre auf allen politischen Ebenen auch zusammen in die Kantine gehen. Zudem muss man vom Ergebnis her denken. Der Erfolg des einen in der Koalition ist auch der Erfolg des anderen. Die Bürgerinnen und Bürger draußen schauen doch nicht, ob es die CDU oder die SPD erreicht hat. Sie wollen das Gefühl haben, dass der Landkreis in guten Händen ist. Übrigens ist auch die Zusammenarbeit mit der Stadt Marburg hervorragend. Sie war selten so gut wie jetzt – trotz komplett unterschiedlicher Farbenlehre.

Die Sozialdemokraten waren Ihnen dankbar, weil sie die schwer erkrankte, inzwischen verstorbene frühere Landrätin Kirsten Fründt ein Jahr lang sehr solidarisch vertreten haben, ohne die Situation zur Profilierung auszunutzen. Wie ging es Ihnen in dieser Phase?

Marian Zachow: Für mich war das eine Selbstverständlichkeit, weil ich wusste, dass das umgekehrt ganz genauso gewesen wäre. Wir konnten uns – auch wenn wir sehr unterschiedliche Typen waren und einen sehr unterschiedlichen Führungsstil hatten – immer aufeinander verlassen. Und gerade bei den wichtigen Dingen hatten wir eigentlich nie einen Dissens. Als sie so schwer erkrankte, war das eine menschlich und emotional unglaublich traurige Situation. Das Mitfühlen und Mithoffen und am Ende die Trauer war die bitterste Phase in den letzten Jahren. Wenn ich versucht hätte, ihr da irgendwie illoyal in den Rücken zu fallen, wäre das nicht nur charakterlos gewesen, das hätten die Menschen auch gemerkt.

Zu Ihren Projekten gehört auch das „Haus der Bildung“. Was ist das?

Marian Zachow: Im „Haus der Bildung“ werden alle Bildungsthemen von der Jugend über die Volkshochschule und die Schulentwicklungsplanung bis zu den Senioren unter ein Dach zusammengefasst wurde. Daraus ist auch die Elternakademie entstanden, ein deutschlandweit einzigartiges Elternangebot mit mehr als 70 Teilnehmern pro Veranstaltung. Damit füllen wir eine echte Lücke, weil Bildungsangebote für Eltern schulpflichtiger Kinder fehlen. Unsere Themen reichen da von Lernpsychologie über digitale Techniken bis zu Entspannungsangeboten. 

Sie fahren täglich Bahn und Bus, gelten als Bahn-Visionär und sind als einer der ganz wenigen CDU-Politiker mit dem Fahrgastpreis von Pro Bahn ausgezeichnet worden. Warum liegt Ihnen die Verkehrswende so am Herzen?

Marian Zachow: Mir geht es darum, dass der ländliche Raum auch in 20 oder 30 Jahren noch attraktiv ist. Deshalb ist das Thema Bahnreaktivierung für mich nicht in erster Linie ein Thema von Verkehrspolitik, sondern ein Thema von Regionalentwicklung. Wenn man heute weiß, dass immer mehr junge Menschen entweder gar keinen Führerschein machen oder kein Auto haben, liegt es eigentlich auf der Hand, dass der ländliche Raum für diese Menschen nur dann attraktiv ist, wenn er eine gute Bahnverbindung hat. Das ist auch durch Schnellbusse nicht zu ersetzen, obgleich bei uns besonders viele Schnellbusse unterwegs sind. Damit Gladenbach, Bad Endbach, Amöneburg und Homberg (Ohm) auch in 50 Jahren noch attraktive Wohnstandorte sind, ist die  Reaktivierung der Bahnstrecken im Ohmtal und im Salzbödetal eine wesentliche Zukunftsfrage. Die Debatten darüber verlaufen auch nicht entlang der politischen Lager, sondern eher zwischen den Generationen. Grob gesagt sind alle unter 40 Jahren für die Bahn, alle über 40 Jahren sind dagegen. Deswegen ist das Thema ÖPNV so wichtig.

Trifft das auch für die Denkmalagentur zu, die mit dem hessischen Demografie-Preis ausgezeichnet und unter Ihrer Ägide eingerichtet wurde?

Marian Zachow: Auch dabei geht es um die Frage, wie wir es schaffen, Dörfer lebendig zu halten. Inzwischen haben wir mehr als 30 leer stehende Fachwerkhäuser, Scheunen und Hofanlagen vor dem Verfall gerettet. Das ist Wohnraum für 80 bis 100 Menschen. Neubauten hätten zehn Millionen gekostet. Uns hat es nur die eine Planstelle gekostet. 

Wenn Sie in 20 Jahren wiederkommen. Werden dann Züge an Salzböde und Ohm fahren?

Marian Zachow: Ich würde mir wünschen, dass die Planung dann abgeschlossen ist und dass zumindest an einer Strecke schon gebaut wird. Aber das hängt auch an bundes- und landespolitischen Vorgaben.

Interview: Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Landkreis Marburg-Biedenkopf