“Grausam” und “ohne konkreten Nutzen”: Der Verein “Ärzte gegen Tierversuche” kritisiert die Philipps-Uni Marburg für einen Tierversuch mit zwei Rhesusaffen. Die Uni wehrt sich gegen die Negativauszeichnung.

Es klingt zugleich makaber und absurd, was den beiden Rhesusaffen “O” und “S” bei einer Studie der Uni Marburg widerfährt: Die Tiere sitzen auf einem sogenannten Primatenstuhl – einer Apparatur, in der Körper und Schädel fest fixiert werden – und starren auf einen Bildschirm. Darauf bewegen sich 600 weiße Punkte hin- und her. Ihre Aufgabe: Einen weiteren roten Punkt in der Mitte des Monitors im Auge behalten.
O wurde zudem ein Loch in den Schäden gebohrt, darüber eine Messkammer befestigt. Wenn sie gut mitarbeiten, erhalten die durstigen Tiere etwas Flüssigkeit als Belohnung.

Für diesen Versuchsaufbau hat die Uni Marburg nun den Negativpreis “Herz aus Stein” erhalten. Mit der Auszeichnung macht der Verein “Ärzte gegen Tierversuche” seit 2017 bundesweit auf Experimente aufmerksam, die aus ihrer Sicht besonders grausam und absurd sind. Die Uni Marburg war in diesem Jahr eine von fünf nominierten Institutionen. Zum “Gewinner” wurde die Uni dann bei einer Online-Abstimmung gekürt: 1.832 Menschen – etwa 29 Prozent – stimmten für Marburg.

An der Marburger Studie kritisiert die Tierschutzorganisation insbesondere, dass das Forschungsziel bereits vorab bekannt gewesen sei. Mit der Studie wollten die Autor*innen untersuchen, wie das Gehirn eine Eigenbewegung verarbeitet, die durch die bewegten Punkte simuliert wird. Dieser Prozess sei beim Menschen jedoch schon erforscht, so Ärzte gegen Tierversuche. Tatsächlich nahmen an der Studie der Uni Marburg auch menschliche Probanden teil – allerdings ohne Kopf-Fixierung und Flüssigkeitsentzug.
„Wozu diese Versuche an Affen durchgeführt wurden, wenn entsprechende Erkenntnisse bereits vorliegen und ganz offensichtlich auch Versuche mit freiwilligen menschlichen Probanden möglich sind, erschließt sich nicht“, kritisiert Johanna Walter von der Tierschutzorganisation.

Hochschulleitung verwahrt sich gegen Vorwürfe

Die Uni Marburg wehrt sich indes gegen die Vorwürfe. In einer Stellungnahme schreibt die Universitätsleitung, die Versuche mit den beiden Rhesusaffen seien keineswegs sinnlos. Die Experimente dienten der Grundlagenforschung und lieferten “wichtige Erkenntinsse für die Entwicklung von Therapeutika oder biomedizinischer Produkte”. Als Beispiel nennt die Uni Marburg sogenannte Retina-Implante. Dabei handelt es sich um Prothesen – meist Mikrochips – die sehbehinderten oder blinden Menschen wieder zur besserer Sehkraft verhelfen können.
Außerdem weist die Hochschulleitung darauf hin, dass auch Computersimulationen und menschliche Probanden für die Forschung zu Einsatz kommen. “Sehr viele relevante wissenschaftliche Fragestellungen lassen sich aber leider immer noch nicht ohne Tierversuche beantworten”. Das gelte insbesondere dann, wenn bei einzelnen Hirnzellen eine Aktivität gemessen werden müsse.

Für Ärzte ohne Tierversuche rechtfertigen speziell die Retina-Implantate allerdings kein Tierleid. „Ein solches Projekt zur Entwicklung von Retinaimplantaten wurde allerdings 2007 beendet und die Implantate wurden bereits 2008 am Menschen getestet”, erklärt Johanna Walter. Zudem sei Grundlagenforschung “ein Bereich, der Definition keinen konkreten Nutzen verfolgen muss.” Ein Erkenntnisgewinn ergebe sich möglicherweise erst in ferner Zukunft.

Nach Auskunft von Ärzte gegen Tierversuche wird Affe O auch in Zukunft Bestandteil von Experimenten sein. Das Schicksal von Affe S hingegen sei nicht bekannt.

LB


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