Unerwartete Gewerbesteuer-Rückzahlungen in Höhe von 41 Millionen Euro: Marburger Magistrat beschließt Haushaltssperre für 2024

Die Stadt Marburg muss für 2024 weitere 41 Millionen Euro Gewerbesteuer an Unternehmen zurückzahlen. Die Nachricht des Finanzamts an die Stadt kam unerwartet. Damit brechen die Erträge der Universitätsstadt für 2024 um über 100 Millionen. Euro ein. Die Folge: Haushaltssperre bis Jahresende und Wartezeit für neue Stellen.

„Dass der Rekord von über einer Milliarde Euro Gewerbesteuer binnen drei Jahren nicht die Regel ist, wussten wir immer. Und ich habe auch immer zur Vorsicht gemahnt“, sagt Marburgs Oberbürgermeister und Kämmerer Thomas Spies. „Eine Normalisierung der Erträge hatten wir auch immer einkalkuliert. Nun aber schlägt das Pendel schneller und extremer ins Gegenteil um als erwartet“, so Spies.

Bereits im Sommer hatte die Stadt ihre Steuer-Erwartungen für das laufende Jahr nach unten korrigieren müssen, weil rund 62 Millionen Euro weniger Gewerbesteuer von den Marburger Unternehmen in die Stadtkasse kommen. Im September wurde deshalb ein Nachtragshaushalt aufgestellt. Nun folgen bis Jahresende weitere große Gewerbesteuer-Rückzahlungen. Sie summieren sich auf 41 Millionen Euro. Einen Teil hat die Stadt schon erstattet, der Rest von 21 Millionen Euro wird ebenfalls noch 2024 fällig. Diese Rückzahlungen kann die Stadt nach eigenen Angaben aus ihrem „Sparbuch“ begleichen. 

Trotzdem: „Bei derart gravierenden Veränderungen im laufenden Geschäft muss eigentlich ein zweiter Nachtragshaushalt für 2024 erstellt werden“, erklärt OB Spies. Anfang Dezember sei dies aber allein schon zeitlich nicht mehr möglich. Die Stadt müsse auf andere Weise gegensteuern. Deshalb hat der Magistrat eine „Hauswirtschaftliche Sperre“ beschlossen. 

Der Beschluss umfasst eine Haushaltssperre für laufende Ausgaben bis Ende 2024: Das bedeutet, es dürfen nur noch Mittel ausgegeben werden für Pflichtaufgaben, für vertraglich zugesicherte oder bewilligte Leistungen sowie für städtische Aufgaben, die „notwendig, unabweisbar und unaufschiebbar“ sind. Betroffen von der Sperre sind also freiwillige Leistungen, die noch nicht beantragt oder noch nicht zugesagt sind. Aber: „Alle zugesagten Zuschüsse werden auch ausgezahlt, die Stadt Marburg bleibt verlässliche Partnerin“, stellt OB Spies klar. 

Alle freien und besetzbaren Stellen in der Stadtverwaltung dürfen wegen der Haushaltssperre frühestens nach drei Monaten wiederbesetzt werden. Das heißt: Die Verwaltung kann alle Stellenausschreibungen, Vorstellungsgespräche und Einstellungsverfahren fortsetzen. Zwischen dem Arbeitsbeginn eines*r neuen Kolleg*in und dem Ausscheiden des*r vorherigen Stelleninhabers*in muss eine Lücke von drei Monaten liegen. Die Sperre gilt bis zur Genehmigung des Haushalts 2025 durch das Regierungspräsidium Gießen. Ausnahmen: In begründeten Ausnahmefällen kann der Kämmerer sowohl finanzielle Mittel als auch Stellen auf Antrag freigeben. 

„Die Haushaltssperre ist eine unvermeidliche Entscheidung, die wir jetzt treffen müssen“, sagt OB Spies. „Wir tun aber alles dafür, dass sich unsere Einnahmen wieder stabilisieren, aber vor allem, dass die Bürger*innen die starken Schwankungen möglichst wenig spüren. Auch wenn wir kürzen müssen, darf das niemals zu Lasten derer gehen, die sich auf die Stadt Marburg verlassen, sei es für Sozialleistungen oder die Personalkosten in der Kultur.“

 Die CDU/FDP/BfM-Fraktion äußert sich in einer Pressemitteilung „besorgt“ über die Haushaltssperre: „Es zeigt sich immer deutlicher, dass Marburg ein massives Ausgabenproblem hat“, so die Fraktion. „Ein ,Weiter so‘ kann und wird es nicht geben. Die Stadt muss dringend ihre freiwilligen Leistungen und Standards einer kritischen Prüfung unterziehen. Es ist nicht akzeptabel, dass sich Marburg auf den Rücklagen vergangener Rekordjahre ausruht und diese nach und nach aufbraucht, anstatt nachhaltige Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen.“

Die CDU/FDP/BfM-Fraktion fordert den Oberbürgermeister als Kämmerer auf, darzulegen, wie es zu den falschen Annahmen im Nachtragshaushalt kommen konnte.

pe/kro

Hintergrund Gewerbesteuer

Gewerbesteuer zahlen Unternehmen auf ihre Gewinne:

  • – als Vorauszahlung auf den Gewinn, der erwartet wird,
  • – nach der Abrechnung des jeweiligen Geschäftsjahres und Prüfung durch die Finanzbehörden auf den tatsächlich erwirtschafteten Gewinn.

Beides – also die Vorauszahlung und die tatsächlich fällige Gewerbesteuer – errechnet das Finanzamt. Die Kommune erhält Vorauszahlungen gemäß Bescheid. Rechnet ein Unternehmen in einem Jahr mehr Gewinn ab als zuvor erwartet, zahlt es Gewerbesteuer an die Kommune nach. Ist der abgerechnete Gewinn niedriger als zuvor geplant, muss die Kommune bereits erhaltene Gewerbesteuer an das Unternehmen zurückerstatten.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg