Mit einer Inzidenz von 258 hat der Landkreis Marburg-Biedenkopf das Berchtesgadener Land überrundet (Stand 2. November). In dem Kreis an der Grenze zu Österreich verhängte Bayern schon vor gut zwei Wochen einen strengen Lockdown mit Ausgangssperren und Schulschließungen. Seitdem ist die Zahl der Infizierten in Berchtesgaden etwas gesunken, während sie in der Region Marburg weiter steigt. Damit hat Marburg-Biedenkopf Städte wie Frankfurt und Offenbach hinter sich gelassen und befindet sich unter den zehn deutschen Kreisen mit den bundesweit meisten Infizierten pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Das Robert-Koch-Institut attestierte der Region zwischenzeitlich sogar eine Inzidenz von knapp 300. Dies beruhte nach Mitteilung des Kreises jedoch entweder auf Rechen- oder auf Übertragungsfehlern.

Aber warum hat Marburg-Biedenkopf seit Anfang Oktober die rote Laterne in Sachen Corona? “Wir wissen es definitiv nicht”, räumt Kreissprecher Stephan Schienbein ein. Bis Ende September hatte es in der Region weit weniger Coronafälle als in allen anderen hessischen Regionen gegeben. Erst dann drehte sich die Lage. Schienbein hält es für möglich, dass die niedergelassenen Ärzte im Kreis besonders aufmerksam auf die Pandemie reagieren und früher testen. Allerdings ist nicht bekannt, wie viele Tests gemacht wurden. “Die aktuelle Entwicklung entspricht dem klassischen Verlauf einer Pandemie”, sagt die Leiterin des Gesundheitsamts, Birgit Wollenberg.

Besonders viele Infizierte finden sich in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen. Daher wäre es denkbar, dass die vielen Studierenden, die zumindest zum Teil zu Semesterbeginn wieder in die Universitätsstadt zurückgekommen sind, eine Rolle spielen. Dagegen spricht, dass es keine auffallenden Häufungen in Wohngemeinschaften gibt. Auch hat die Stadt Marburg keine höhere Inzidenz als die ländlichen Gemeinden im Umland.

Mit bis zu 185 Fällen pro Tag ist das Marburger Gesundheitsamt allerdings längst an seinen Grenzen. Inzwischen arbeiten weit über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Corona-Teams, darunter auch Freiwillige aus anderen Abteilungen der Kreisverwaltung. Seit Dienstag wird das Gesundheitsamt von 29 Bundeswehrsoldaten unterstützt. Zudem wird es noch personelle Hilfe aus der Stadtverwaltung Marburg geben. “Wir können die Nachverfolgung der einzelnen Fälle noch leisten”, sagt Kreissprecher Schienbein. Allerdings könne es zwischen drei und fünf Tagen dauern, bis die Kontaktpersonen eines Infizierten angerufen werden.

Aktuell infizieren sich die meisten Menschen in der Region im familiären Umfeld. In manchen Fällen lassen sich die Kontakte aber auch nicht mehr nachvollziehen. Bei den Corona-Maßnahmen folgt der Kreis Marburg-Biedenkopf den Empfehlungen und Vorgaben von Bund und Land: Restaurants, Cafés, Fitnesscenter, Freizeitparks, Theater, Kinos und Tanzschulen sind dicht. Touristische Übernachtungen sind verboten. Nur die Kontaktbeschränkungen wurden im Landkreis etwas früher eingeführt, ebenso wie die Maskenpflicht im Unterricht ab Klasse 5.

Gegen die Maskenpflicht im Unterricht wandte sich eine Elterninitiative, die Ende vergangener Woche mit einer kleinen Gruppe vor dem Marburger Kreishaus demonstrierte. Sie übergaben Unterschriften gegen die Verfügung an den Ersten Kreisbeigeordneten Marian Zachow.

Neuerdings lässt sich nachvollziehen, in welchen Städten und Gemeinden des Landkreises das Virus besonders stark verbreitet ist: In Relation zur Einwohnerzahl sind dies vor allem die Städte Stadtallendorf und Kirchhain sowie die Gemeinde Wohratal. Niedrig sind die Zahlen nur in Lohra, wo es aktuell nur einen aktiven Fall gibt. Der Kreis warnt jedoch: “Die Infektionen sind sehr diffus über den gesamten Landkreis verteilt.” Sichere Orte gebe es nicht.

Fälle nach Kommunen Amöneburg: 15, Angelburg: 6, Bad Endbach: 12, Biedenkopf: 35, Breidenbach: 31, Cölbe: 32, Dautphetal: 31, Ebsdorfergrund: 17, Fronhausen: 7, Gladenbach: 17, Kirchhain: 91, Lahntal: 19, Lohra: 1, Marburg: 190, Münchhausen: 14, Neustadt: 57, Rauschenberg: 7, Stadtallendorf: 174, Steffenberg: 4, Weimar: 11, Wetter: 15 (Stand 2. November)

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg