Die zukünftige Hinterland-Klinik braucht Zuschüsse in Millionenhöhe
Der Kreis Marburg-Biedenkopf will das insolvente DRK-Krankenhaus Biedenkopf mit seinen rund 300 Beschäftigten zum 1. Januar 2026 übernehmen. Das soll am Freitag im Kreistag beschlossen werden. Die Zustimmung gilt parteiübergreifend als sicher, obgleich damit hohe Kosten auf den finanziell klammen Landkreis zukommen: In diesem Jahr musste er bereits 5,1 Millionen Euro zuschießen (3,6 Millionen in 2024), im kommenden Jahr werden es voraussichtlich drei Millionen Euro sein.
Gemeinsam mit dem Insolvenzverwalter hatte der Landkreis seit Ende 2023 versucht, Käufer für das Krankenhaus zu finden. Doch die zunächst vorhandenen Interessenten sprangen wieder ab. Um nicht gleich schließen zu müssen, übernahm der Kreis das Defizit. Nun soll das Krankenhaus zu einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft des Kreises werden und in Zukunft unter dem Namen „Hinterland-Klinik gGmbH“ firmieren.
Es gibt jedoch auch Gegenstimmen. So hält Hans-Joachim Conrad, der 20 Jahre lang kaufmännischer Direktor der Uni-Klinik Marburg und dann Frankfurt war, die Entscheidung für die Übernahme für fahrlässig: „Diese Struktur ist nicht zukunftsfähig. Das Haus ist zu klein, um es wirtschaftlich zu betreiben“, sagt er.
Auch der Verbund von rund 500 Ärzten in der Region hatte ein anderes Modell vor Augen. Die Übernahme der Trägerschaft des Krankenhauses alleine durch den Landkreis Marburg-Biedenkopf sei „wenig sinnvoll“, schrieben die Mediziner vor einem Jahr. Sie schlugen stattdessen ein Modellprojekt vor, nach dem das Krankenhaus an einen Maximalversorger – die Universitätsklinik Marburg – angeschlossen werden sollte. Damit bliebe die Grundversorgung in Biedenkopf, während die schwereren Fälle und die Rund-um-Versorgung an 365 Tagen im Jahr in Marburg sichergestellt würden. Das Uni-Klinikum hatte allerdings kein Interesse. Hinter dem Verbund stehen der Verband der Ärzte im Marburger Hinterland und im Wittgensteiner Land, die Ärztegenossenschaft Prima (Landkreis Marburg-Biedenkopf) sowie Haus-, Fach- und Belegärzte aus Biedenkopf und Umgebung.
Nach Einschätzung von Conrad lässt sich der Landkreis vom Druck aus dem Marburger Hinterland leiten. Der Sicherstellungsauftrag liege beim Land: „Man kann den Kreis nicht zwingen, die Trägerschaft zu übernehmen“, sagt der frühere kaufmännische Direktor der Uni-Klinik.
Tatsächlich stellte sich die gesamte Region hinter das 113-Betten-Krankenhaus, nachdem der Betreiber – der DRK-Kreisverband Biedenkopf – im September 2023 Insolvenz anmeldete: Rund 67.000 Menschen unterschrieben eine Online-Petition an den früheren Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, in der sie den Erhalt des Standorts fordern. In Demonstrationen setzten sich die Menschen für das Krankenhaus ein. Eine Delegation von Bürgermeistern ging deshalb nach Berlin. Lauterbach war bei einem Besuch in Marburg auch noch davon überzeugt, dass die damals geplante Krankenhausreform der Klinik helfen werde: „Aus meiner Sicht ist das ein Haus mit einer sehr guten Perspektive“, sagte er damals.
Der Landrat begründet die Übernahme auch mit seinen Aufgaben im Rahmen der kommunalen sozialen Daseinsvorsorge, zu der eine ausreichende Anzahl von Krankenhäusern und die Notfallversorgung gehören. Deshalb betreiben nach Auskunft des Hessischen Landkreistages etwa zwei Drittel der hessischen Landkreise selbst Krankenhäuser.
Nach Angaben des Kreises wurden im vergangenen Jahr 3700 stationäre Patienten in Biedenkopf behandelt, darunter vor allem akut zu versorgende Menschen. Die Klinik ist nämlich eine wichtige Anlaufstelle für den Rettungsdienst. Die nächsten Kliniken in Marburg und Frankenberg sind rund 40 Minuten entfernt und zum Teil überlastet. Zudem ist das Krankenhaus Biedenkopf durch ein Belegarztsystem geprägt: Fachärztliche Praxen für innere Medizin, Chirurgie und Urologie sind dort tätig.
Die Klinik sorge für die wohnortnahe Versorgung von rund 66.000 Menschen im Marburger Hinterland, schreibt der Kreis. Zudem ist sie Lehrkrankenhaus der Philipps-Universität. Allerdings sucht der Landkreis – so steht es in der Beschlussvorlage – mittelfristig weiterhin nach einem Übernehmer oder Partner für den Betrieb des Krankenhauses.
Gesa Coordes