Rollstuhl-Globetrotter Andreas Pröve am Jangtsekiang
Seit er als 23-Jähriger mit dem Motorrad verunglückte, ist Andreas Pröve, Jahrgang 1957, querschnittsgelähmt. Bereits drei Jahre nach seinem folgen-schweren Unfall war er mit dem Rollstuhl in Indien unterwegs. Seitdem ist der Fotojournalist und Buchautor für seine Diavorträge auf allen Erdteilen unterwegs an den Grenzen des Machbaren.
Express: Herr Pröve, Sie standen als erster Rollifahrer an der Quelle des Jangtsekiang in Tibet. Was ist das für ein Gefühl?
Andreas Pröve: Jeder Leser, der schon einmal an seine körperlichen Grenzen gestoßen ist, oder sie gar überschritten hat, egal bei welchem Unternehmen, kennt das. Glückshormone durchfluten den Körper, man könnte die Welt umarmen, eine kaum zu beschreibende Euphorie befällt einen, und was mir besonders in Erinnerung geblieben ist, war dieses Gefühl einer tiefen, inneren Ruhe und Zufriedenheit. Das Wissen, etwas erreicht zu haben, das alle für unmöglich hielten, an dem ich selbst zuweilen gezweifelt hatte und das vor mir noch kein Rollifahrer gewagt hatte, löste etwas aus, das über die Begriffe Freude und Glück weit hinaus geht.
Express: Wie kam die Idee zustande, ausgerechnet China mit dem Rollstuhl zu bereisen?
Andreas Pröve: Da gab es viele Gründe. Zunächst wollte ich wissen: Sind die Chinesen wirklich so, wie sie hier in den Medien dargestellt werden? China ist in aller Munde, was steckt dahinter? Die Idee China kennen zu lernen ist aber viel älter. Vor 20 Jahren bin ich dem Ganges quer durch Indien gefolgt, bis zu seiner Quelle. Ein paar Jahre später nahm ich mir den Mekong vor, und nun war der Jangtsekiang, von Shanghai nach Tibet, nur die logische Schlussfolgerung in dieser Trilogie. Die großen Flüsse unserer Welt sind erste Siedlungsgebiete, Lebensadern der Menschen und Orte an denen Hochkulturen entstanden sind. Wer also ein Volk kennen lernen will, so meine Idee, sollte seine Flüsse bereisen.
Express: Es gibt Situationen, bei denen der Rollstuhl an seine technischen Grenzen gerät. Wie kommen Sie dann weiter?
Andreas Pröve: Eine Frage, die ich noch ergänzen müsste, denn ich komme auch an meine körperlichen Grenzen. 6000 Kilometer lassen sich nicht mehr mit den Armen in Handarbeit bewältigen, nicht nach fast 40 Jahren im Rollstuhl. Daher habe ich meinen Rollstuhl mit einem Triebling motorisiert, eine handelsübliche Wasserpumpe vom Baumarkt, die ich auf einem Anhänger montiert habe und die mir den rechten Speed auf der Reise gegeben hat. Gas gegeben habe ich mit einem Gasgriff vom Motorrad am Handbike. Man merkt, ein wenig vom Motorradfahrer steckt noch immer in mir. Und tatsächlich, es war ein wenig wie Motorrad fahren.
Express: Sie waren sowohl in den Megacities als auch auf dem Lande unterwegs. Wie reagieren die Menschen vor Ort auf Ihr Handicap?
Andreas Pröve: Das war eine der großen Überraschungen auf der Reise. Ganz entgegen der landläufigen Meinung, die Chinesen seien ein Volk von Egoisten, deren öffentliche Moral eher schwach ausgeprägt ist, bin ich auf eine überbordende Hilfsbereitschaft gestoßen. Manchmal haben sich die Hilfswilligen gegenseitig weggedrängelt, nur um selbst mit anfassen zu dürfen. Einmal habe ich acht Männer gezählt, die zugepackt haben, um mich in ein Boot zu tragen. Sie standen sich dabei nur selbst im Wege, aber ich bin wie auf Engelsflügeln sanft im Boot gelandet.
Express: Sind Sie alleine unterwegs oder entstehen Ihre Touren in Team?
Andreas Pröve: Jede Reise plane ich zunächst einmal im Alleingang. Der Grund ist einfach: Den maximalen Kontakt zur Bevölkerung bekomme ich als Einzelperson. Schon zu zweit, als Kleingruppe, beschäftigt man sich mehr miteinander. Das ist nicht in meinem Sinne. Aber es gibt natürlich Sachzwänge, die eine Begleitung erfordern. Das waren die Sprachbarriere, die großen Probleme, Genehmigungen für gesperrte Gebiete zu beantragen und letztendlich natürlich in Wüsten und Gebirgen, also offroad, weiter zu kommen. Meinen Freund Sun de Yue, der aus China stammt und seit 30 Jahren in Deutschland lebt, für mein Projekt zu begeistern, war ein großes Glück.
Express: Durften Sie sich frei bewegen oder standen Sie bei Ihrer Reise unter Auflagen der chinesischen Behörden?
Andreas Pröve: Da sprechen Sie ein Thema an, das mein Projekt immer wieder gefährdet hat. Ein Visum bekommt man zum Beispiel nur nach Vorlage sämtlicher Hotelbuchungen. Unmöglich, ich weiß doch nicht vorher, wo ich wann sein werde, nicht einmal die Route stand so genau fest. Auf halber Strecke musste ich die Reise abbrechen, weil das Grenzgebiet nach Tibet, das der Jangtse mit seinem Lauf bildet, gesperrt war und ein Permit nur mit Beziehungen zur Provinzregierung Qinghai erteilt wird. Ständig verbot mir die Polizei die Weiterfahrt, da der Motor am Rollstuhl mein Gefährt zu einem anmeldepflichtigen Fahrzeug machte. Ausländischen Touristen ist es aber in China verboten, selbst ein Fahrzeug zu lenken.
Express: Wo kommen Sie eigentlich unter? In Hotels, in Travellerunterkünften, bei Privatleuten…?
Andreas Pröve: Ich habe immer versucht, zum Abend eine Stadt mit Hotels zu erreichen, denn für ein Zelt und Kocher hatte ich einfach nicht die Kapazität. Aber China ist dicht genug besiedelt, und wenn ich kein Hotel vor dem Dunkelwerden erreichen konnte, habe ich in den Herbergen für Lkw-Fahrer übernachtet. Zwar grausige Spelunken mit sanitären Anlagen, die ihren Namen nicht verdienen, aber für ein oder zwei Nächte zu ertragen.
Express: Gab es auf der Reise den Jangtsekiang entlang Momente, bei denen Sie ans Aufgeben dachten?
Andreas Pröve: Mehrmals! Vor allem als mir in Lijiang eine Weiterfahrt Richtung Norden untersagt wurde. Da habe ich nicht nur ans Aufgeben gedacht, ich musste aufgeben. Erst als mir in Deutschland mein Freund Sun de Yue über den Weg lief, ich ihm von meinen Problemen erzählt hatte und er all seine Beziehungen hat spielen lassen, konnte ich neue Hoffnungen schöpfen und meinen Traum von der Quelle des Jangtse erneut in Angriff nehmen.
Express: Was hat Sie auf Ihrer Reise am meisten beeindruckt?
Andreas Pröve: Die rasante Entwicklung, die China in den letzten 30 Jahren hingelegt hat. Ich war 1986 schon einmal dort und konnte vergleichen. Auch die Barrierefreiheit der Hochgeschwindigkeitszüge hat mich überrascht. Man rollt da einfach hinein. Bei der Deutschen Bahn muss ich mich drei Tage vor Reiseantritt telefonisch anmelden, damit ein mobiler Lift für die Stufen in den ICE bereit gestellt werden kann.
Aber auch die extremen Landschaften waren berauschend. So zum Beispiel die Megadünen in der Gobi oder die Sandsteinsäulen bei Zhangjiajie, die stark an Pandora aus dem Film Avatar erinnern. Doch ganz oben in meiner Begeisterung stehen die Menschen, die mir mit ihrer herzlichen Hilfsbereitschaft jeden Tag näher ans Herz gewachsen sind.
Andreas Pröve – “China – Im Rollstuhl von Shanghai nach Tibet” – Di 5.11. 19.30, KFZ
Interview: Michael Arlt