Die neueste Produktion der Marburger Live-Hörspieltruppe bringt das Nachtstück des Romantikers E.T.A. Hoffmann in die Gemäuer des Lomonossow-Kellers. Der EXPRESS sprach mit Regisseur Daniel Sempf über die Arbeit am Stück, schaurige Auftrittsorte und fantastische Bilder im Kopf.

Express: Warum “Der Sandmann”?

Daniel Sempf: Wir suchten nach einem griffigen Stoff, der sowohl eine Schauer- und Horroratmosphäre verbreitet als auch gleichzeitig in die tiefe Psyche des Menschen eingreift und sie beleuchtet. Eine Freundin aus Georgien machte mich dann auf die Geschichte von E.T.A. Hoffmann aufmerksam. Ich habe die Erzählung “Der Sandmann” gelesen und gedacht: Boah, das ist ja ein toller Stoff. Da ist alles drin: Psychologie, interessante Figuren, eine Krimi-Geschichte und Horror – Wahnsinn! Dann habe ich mich an die Bearbeitung gemacht.

Express: Wie gehen Sie dabei vor?

Daniel Sempf: Ich versuche, den gebundenen Prosa-Text aufzulösen und in Dialogform umzuschreiben. Wir produzieren mit der Hörtheatrale ja Hörspiele, und Hörspieltexte orientieren sich vor allem daran, dass Menschen dialogisch miteinander agieren. Das ist es, was ich aus dem Text herauskristallisieren muss. Und das war beim “Sandmann” ziemlich kompliziert, weil es so viele verschiedene Ebenen gibt. Nicht nur die Figurenebene, auch die Erzählerebene und innerhalb dieser weitere unterschiedliche, Innensicht, Außensicht. Der Erzähler schildert zur gleichen Zeit aus distanzierter Perspektive, dann wieder tritt er nahe an die Figuren heran… Das musste ich von allen Seiten beleuchten und daraus Dialogtexte machen. Das ist schwierig gewesen.

Schwarzromantische Schauermär als Live-Hörspiel (Foto: Hörtheatrale)

Express: Wie lange haben Sie an der Umarbeitung gearbeitet?

Daniel Sempf: Circa vier Monate. Und diese Fassung ist auch immer noch fließend in dem Sinne, dass wir während der Proben immer wieder feststellen, da müssen wir noch etwas einbauen oder das hier brauchen wir eigentlich nicht, um in der Geschichte weiterzukommen.

Express: Bei den Produktionen der Hörtheatrale herrscht ein Faible für düstere Themen. Woher kommt das?

Daniel Sempf: Das stimmt tatsächlich. “Dracula”, “Jekyll and Hyde”, “Das kalte Herz”… das sind düstere Geschichten. Woran das liegt? Eigenes Interesse natürlich. Und die Vorlagen sind einfach großartig. Die Geschichten eignen sich hervorragend, um daraus ein Live-Hörspiel zu machen. Man kann viel mit der Fantasie arbeiten, man kann beim Zuhörer bzw. Zuschauer vieles voraussetzen und mit den Klischees und Bildern in seinem Kopf spielen. Aber auch überraschen. Und zumindest das funktioniert beim Sandmann nicht. Da geht die Vorstellungskraft so weit auseinander, es bieten sich so viele Interpretationsansätze an… Das ist die große Schwierigkeit, macht es aber gleichzeitig so interessant.

Express: Wie kam denn überhaupt die Idee für die “Hörtheatrale” zustande?

Daniel Sempf: Ich habe ein großes Interesse an der Sprache und am Sprechen, am Handwerk des Schauspielers, mit seiner Sprache umzugehen. Dazu kam das Interesse an Musik und Geräuschen. Außerdem bin ich ein Fan von Hörspielen, und wollte wissen: Wie machen die das eigentlich? Ich habe als Theaterschauspieler selbst Hörspiele eingesprochen und dachte, es wäre spannend, das Ganze mal auf eine Bühne zu bringen und ein Hörspiel live zu machen. Die Verbindung von dem, was im Kopf des Zuhörers geschieht, die Musik, die Geräusche, die Stimmen – Diese Vorstellung auf die Bühne zu bringen, fand ich faszinierend. Dazu kam, dass mich die technische Herausforderung sehr interessiert hat: Wie macht man die Geräusche, wie bearbeitet man Field Recordings, wie nimmt man Stimmen auf, wie bekommt man Geschichten erzählt? Dann das Interesse an Musik und Sounds, die Atmosphären herstellen… Wir haben auch schon mit Live-Projektionen von Bildern gearbeitet, etwa bei “Jekyll and Hyde”. Aber üblicherweise konzentrieren wir uns stärker auf die Lichtinstallation, dadurch wird die Stimmung sehr unterstützt.

Express: Sind die Produktionen der Hörtheatrale durch den technischen Aufwand ortsgebunden?

Daniel Sempf: Wir haben keinen für uns zugeschriebenen Spielort, und ich muss den Lomonossow-Keller tageweise mieten. Das ist ein super Spielort, aber ich muss jedesmal alles aufs Neue auf- und abbauen. Deswegen versuche ich, unsere Produktionen auch technisch so zu halten, dass ich sie immer mitnehmen kann. Deshalb sind wir technisch nicht gebunden. Wir haben aber soviel Equipment dabei, dass wir die Stücke vor Ort sehr aufwendig produzieren können. Mit der Hörtheatrale arbeiten wir übrigens eigenfinanziert und bekommen keine Dauerförderung wie andere kulturelle Institutionen, sondern nur ab und zu eine projektbezogene. Im Falle Sandmann haben das Marburger Kulturamt und das Hessische Ministerium für Wissenschaft und Kunst gefördert.

Express: Es gibt aber neben dem Lomonossow-Keller auch andere Spielstätten…

Daniel Sempf: Seit 2010 veranstalten wir den Hörtheater-Sommer, wo wir draußen spielen. Wir hatten Auftritte bei der Waggonhalle, einige Jahre am Spiegelslustturm, dann sind wir zum Tennisclub TC Marburg gegangen. Dort werden wir auch dieses Jahr wieder sein. Wir haben aber auch schon bei der Steinmühle gespielt und sind mit unseren Produktionen sehr häufig an Schulen unterwegs. Auch Gastspiele standen auf dem Plan, etwa in Saarbrücken, Köln oder Frankfurt…

Express: Haben Sie eine Lieblingsspielstätte?

Daniel Sempf: Der Lomonossow-Keller ist natürlich der optimale Raum für uns. Das Ambiente ist großartig, man geht die Treppen hinunter und taucht quasi ab in die Seele. Das ist schon Lieblingsspielort und -produktionsstätte. Es wäre sicher reizvoll, einmal eine Burg zu bespielen, wie etwa Mellnau. Doch dafür bräuchte man wesentlich mehr an Technik und Manpower, das wäre überhaupt nicht zu finanzieren.

Express: Verraten Sie uns, welche Themen in Zukunft anstehen?

Daniel Sempf: Wir werden neuer und uns mit modernen Texten beschäftigen. Zum einen wird ein Kinderstück kommen, “Die Heuhaufen-Halunken” vom Marburger Autor Sven Gerhardt. Im Herbst soll es dann einen neuen Thriller geben – diesmal von einem Gegenwartsautor.

Daniel Sempf
… ist festes Ensemblemitglied des Hessischen Landestheaters Marburg und gründete 2009 das Ensemble Die Hörtheatrale. Als deren künstlerischer Leiter führt der gebürtige Dresdner Regie, schreibt die Texte und entwickelt den Sound und die Musik.

Die Hörtheatrale: “Der Sandmann”
Szenisches Hörspiel nach der Schauermär von E.T.A. Hoffmann. Premiere Fr 31.5. 20.00 Uhr. Lomonossow-Keller, Markt 7

Interview: Michael Arlt

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Isabel Streibig und Hörtheatrale