Ein EXPRESS-Gespräch mit Knut Kramer und Eugen Anderer, dem scheidenden und dem neuen Leiter der Musikschule Marburg e.V.

EXPRESS: Hübsch habt ihr es hier im ehemaligen Offizierscasino am Schwanhof …

Knut Kramer: Ja, das Gebäude hat schon einen gewissen Charme der Fünfziger Jahre. An dem Ort fühlen wir uns auch ganz gut. Die Nähe zum Theater und den Schulen ist toll, die Kinder kommen nachmittags in Scharen fußläufig hierher. Wir haben zum Beispiel gar nicht gemerkt, als auf G8 umgestellt wurde … Aber wir haben Probleme: Es ist zu eng, es ist zu klein, es ist nicht barrierefrei.

Eugen Anderer: Und das lässt sich auch ohne größeren Aufwand anders nicht einrichten…

Knut Kramer: Im Untergeschoss ist Schlagzeugunterricht, da spielen Bands und laute Instrumente, dort ist auch das Tonstudio. Und dort ist es feucht.

Eugen Anderer: Das Gebäude steht halt im Lahn-Schwemmland und könnte nur mit größtem Aufwand saniert werden.

EXPRESS: Das bedeutet?

Knut Kramer: Vor zwei Jahren wurde alles vom Baudezernat der Stadt Marburg geprüft und beschrieben. Die Kosten, das Haus zu sanieren wären viel zu hoch. Die Schimmel-Belastungsgrenze der Weltgesundheitsorganisation WHO ist zwar noch nicht überschritten, aber wir sind nahe dran, das haben wir mehrmals von unabhängigen Firmen messen lassen. Aber das Ganze ist schon im Bewusstsein der Stadtverwaltung, wir sind da im Gespräch, und es wird überlegt, wo wir bessere Räumlichkeiten bekommen können.

EXPRESS: Wäre nach einem möglichen Theater-Neubau die Nutzung von Räumen des benachbarten Hessischen Landestheaters eine Option?

Eugen Anderer: Das wäre schon eine Möglichkeit, zumindest aus dem feuchten Keller zu kommen. Dort gibt es zum Beispiel große Proberäume.

Knut Kramer: Proberaum ist im Marburg nachgefragt und gewünscht, nicht zuletzt für die vielen Chöre und Orchester. Das wäre hier gegeben. Wir haben unseren eigenen Saal, drüben den relativ großen Theatersaal mit der schönen Bühne und weitere kleinere Bühnen. Da ist genug Platz vorhanden. Und es wäre wenigstens trocken…

EXPRESS: Stichwort Barrierefreiheit …

Knut Kramer: Haben wir fast gar nicht. Bei uns kommt man lediglich durch die Hintertür über eine Rampe in den Saal…

Eugen Anderer: …, und dort ist man aber von den Toiletten und dem restlichen Haus abgeschnitten. Drei Stufen.

EXPRESS: Eine Bilanz der letzten Jahre?

Knut Kramer: Als ich am 1. Oktober 1990 angefangen habe, war die Musikschule im Dachgeschoss der Käthe-Kollwitz-Schule untergebracht. Der Unterricht verteilte sich auf 20 Unterrichtstätten, das war damals eine schwierige Situation für die 900 Schüler. 1996 kam dann die Lösung mit dem Umzug ins ehemalige Casino am Schwanhof. Da waren wir übrigens schon beim EXPRESS-Open-Air dabei, da gab es tolle gemeinsame Aktionen wie “Lass Dich beflügeln”. Die Schule ist über die Jahre mit dem Standortwechsel gewachsen. Wir konnten besser zusammenarbeiten, hatten mehr Berührung unter den Kolleginnen und Kollegen, aber auch den Schülerinnen und Schülern. Die Popularmusik wurde hier auf- und ausgebaut und ein Tonstudio eingerichtet. Das hat sehr abgestrahlt, und es kam immer mehr Nachfrage zustande.

Eugen Anderer: In den Neunziger Jahren begannen dann die Schulkooperationen. Die erste, die sehr ernsthaft mit uns zusammengearbeitet hat, war die Martin-Luther-Schule. Das hat sich bis heute als sehr fruchtbare Zusammenarbeit gehalten, da gibt es zwei Bläserklassen, zwei Streicherklassen…

Knut Kramer: Aber wir sind mit fast allen Schulen vor Ort in Kooperation. Ich denke, es ist eine wunderbare Sache, die Musikpraxis mehr in die allgemein-bildende Schule zu bekommen. Das ist für die Kinder ein schöner Zugang zur Musik und führt dazu, dass sie sich weitergehend für Musik interessieren. Und vielleicht auch ein Instrument lernen.

EXPRESS: Wieviele Schüler sind es aktuell?

Eugen Anderer: Mit den Schülern aus Schulkooperationen sind wir momentan bei 2100. Dazu kommen rund 60 Lehrer. Nach wie vor sind Streichinstrumente und Klavier sehr beliebt, aber auch Gitarre. Die Nachfrage in Gesang ist sehr gut, sowohl in der klassischen Ausbildung wie auch im Pop- und Jazzgesang.

EXPRESS: Wie finanziert sich das Ganze?

Knut Kramer: Man kann grob sagen, dass siebzig Prozent von den Eltern bzw. den Unterrichtsnehmern kommen. Der Rest sind Zuschüsse und einige Spenden, wobei die Stadt Marburg vorbildlich bezuschusst. Die Empfehlung des Deutschen Städtetages ist eine Drittelung der Kosten im Musikschulwesen – ein Drittel Land, ein Drittel Kommunen, ein Drittel Eltern. Das ist hier in Hessen noch lange nicht erreicht. Die Nutzer tragen die Hauptlast. Die öffentlichen Geldgeber insbesondere das Land Hessen und der Landkreis müssten sich hier noch mehr engagieren.

Eugen Anderer: Unsere Unterrichtsentgelte sind ohnehin schon recht hoch, und dennoch sind die Arbeitsverhältnisse prekär, besonders wegen der später zu erwartenden geringen Rente. Dadurch ist es auch schwer, Nachwuchskräfte für den Instrumentalunterricht an Musikschulen zu gewinnen. Wer heute mit 25 bei uns anfängt und bis zum Ruhestand bleibt, kann lediglich mit etwa tausend Euro Rente rechnen.

EXPRESS: Welches Angestelltenverhältnis haben die Lehrer?

Knut Kramer: Wie haben einen Haustarifvertrag und sind am Kämpfen. Mehr Zuschuss könnte bedeuten, dass wir einen Tarifvertrag einführen könnten. Dazu bräuchten wir natürlich eine Gewähr, die den Zuschuss verbindlich auch für künftige Anpassungen regelt.

EXPRESS: Dennoch eine positive Bilanz?

Knut Kramer: Die Schule steht ganz gut da. Sie läuft gut, die Nachfrage ist da. Ich glaube, wir mischen uns auch gut im kulturellen Leben in Marburg ein. Was uns wirklich fehlt, sind die besser bezahlten Arbeitsverhältnisse. Und es bleibt der Wunsch nach besseren Räumlichkeiten. Was die inhaltliche Arbeit anbelangt, ist die Musikschule breit aufgestellt – Inklusion, Talentförderung, Breitenarbeit, Schulkooperation, Laienmusizieren. So ist es richtig, und so kann ich es auch in Ruhe an Eugen übergeben.

EXPRESS: … und bei dem steht ganz oben auf der Agenda?

Eugen Anderer: Zunächst einmal, für Kontinuität zu sorgen. Dann daran arbeiten, dass sich die gehaltliche Situation der Kolleginnen und Kollegen verbessert. Das hat große Priorität, ebenso liegt mir eine Verbesserung der Raumsituation am Herzen: Sanierung dieses Gebäudes, Umzug ins Theater …? Falls das gar nicht geht, die Überlegung, inwieweit man für die Musikschule und die Musikschaffenden in Marburg ein anderes Gebäude saniert oder einen Neubau in Erwägung zieht. Das bräuchte natürlich langfristige Überlegungen zur Finanzierung, eine genaue Bedarfsanalyse. Eine weitere ganz wichtige Frage ist: Wie gehen wir mit der Digitalisierung um? Was können wir da verbessern, wie setzen wir digitale Technik im Unterricht ein? Im Verband deutscher Musikschulen gibt es eine wichtige Fraktion von Leuten, die sagen, Tablets sind auch Instrumente, mit denen man Musik machen kann. Das hat nichts mit etwa einem Klavier zu tun, das sind zwei völlig verschiedene Dinge und auch völlig verschiedene Kulturen, die sich da spiegeln. Ich kann mit einem Tablet nicht die gleiche Musik machen wie mit einem Klavier und umgekehrt. Es wäre einmal auszuloten, was beispielsweise passiert, wenn man eine Tablet-Klasse einrichtet. Wen spricht man eventuell damit an, den man bislang nicht erreicht? Ein anderer Aspekt der Inklusion, der mit wichtig ist, ist die Interkulturalität. Wir wollen außereuropäische Instrumente anbieten wie etwa die arabische Laute Oud.

Bei Schulkooperationen und inklusiven Projekten mit Menschen mit Beeinträchtigungen sind wir auf einem guten Weg. Wir veranstalten jedes Jahr Ferienprojekte mit der Lebenshilfe, in den Schulkooperationen sind wir mit 25 bis 30 Partnern unterwegs und unterrichten in diesem Bereich über 120 Wochenstunden. Das ist gemessen an der Größe von Marburg sicherlich etwas Besonderes.

Das gilt es zu erhalten und weiter auszubauen, zum Beispiel in Richtung Kindergärten mit niederschwelligen kostengünstigen, besser noch kostenlosen Angeboten. Dort immer wieder Förderung zu finden, ist ein wichtiges Anliegen.

Zur inklusiven Arbeit, wie sie sich der VdM denkt, gehört die Seniorenarbeit, ein Aspekt, der auch für uns immer wichtiger wird.

EXPRESS: Zukunftsvisionen?

Eugen Anderer: Die Transformation in die zunehmend digitalisierte Gesellschaft sowohl auf der Verwaltungs- als auch der kommunikativen Ebene. Wir müssen uns fragen, welche Rolle das analoge Musizieren künftig in dieser Gesellschaft spielen wird. Wir wollen natürlich, dass diese Kulturtechnik auch weiter tradiert wird und erhalten bleibt – uns aber gleichzeitig nicht dem Neuen sperren. Das ist vielleicht anfangs noch ein Spagat, aber möglicherweise schon bald Normalität.

Eine Vision von mir wäre, einen niederschwelligen Zugang zur Musik für alle anbieten zu können, von der Krippe und dem Kindergarten bis in die Grundschule hinein. Und so mit musikalischer Früherziehung einen Beitrag zur Chancengleichheit zu leisten und Grundlagen für späteren Instrumentalunterricht zu legen. Eine bezahlbare Basismusikalisierung für Alle muss möglich sein.

Knut Kramer
…, 1954 im schwäbischen Ulm geboren, nach Schule und Musikstudium in Bregenz am Bodensee Gitarrenlehrer in Süddeutschland, kam der Liebe wegen in den Achtzigern nach Hessen. Musikschulleiter in Büdingen, von 1990 bis 2019 Leiter der Musikschule Marburg e.V. Spielt mit dem TrioRio Gitarrenmusik von Bach bis Bossa.

Eugen Anderer
…, geboren 1961 in Karlsruhe, kam sehr früh nach Marburg, Abitur an der Carl-Strehl-Schule, Musikstudium in Kassel, seit 1994 Gitarren- und Lautenlehrer an der Musikschule Marburg, später verantwortlich für Pressearbeit und Schulkooperationen. Ab Januar 2020 Leitung der Musikschule Marburg e.V. Konzerttätigkeit als Solo-Lautenist mit Programmen aus Renaissance und Barock.

Interview: Michael Arlt

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