Das Open-Air-Kino auf der Marburger Schlossparkbbühne wird 30 Jahre alt. Ein Interview mit den Organisatoren.

Seit drei Jahrzehnte sorgt das Open-Air-Kino für cineastische Sommernächte über den Marburger Dächern. Dahinter stecken die beiden Organisatoren Hubert Hetsch und Marion Closmann. Hetsch gehört zu den Gründern des Kinos auf der Schlossparkbühne, Closmann ist seit 2019 dabei. Mit uns haben die beiden über Highlights, Flops und den besonderen Reiz des Open-Air-Kinos gesprochen.

Express: 30 Jahre Sommernacht-Open-Air-Kino auf der Schlossbühne – Warum startet Ihr das OAK 2022 ausgerechnet mit Detlef Bucks “Wir können auch anders…”?

Marion Closmann: “Wir können auch anders…“ war vor 30 Jahren sehr  erfolgreich und unser Eröffnungsfilm. Wir wollten im Jubiläumsjahr ein bisschen besondere Nostalgie ins Spiel bringen und gönnen uns diesen Klassiker. Der Produzent Claus Boje hat uns den Film, der eigentlich nicht mehr für Kinovorstellungen zur Verfügung steht, anlässlich unseres Jubiläums extra freigegeben. Wir möchten den Open-Air-Start mit den Marburgern feiern und laden daher mit einem Sonderpreis von 6,00 Euro zu dieser Vorstellung. Ich hoffe, dass viele, die den Film vielleicht noch nie gesehen haben oder gar nicht kennen, diese Gelegenheit nutzen, mal rein zu schauen.

Hubert Hetsch: Detlef Bucks „Wir können auch anders …“ ist eine herrliche Komödie und ein leicht chaotisches Road Movie über zwei ungleiche Brüder, die in Ostdeutschland einen Gutshof geerbt haben und auf der Reise dorthin in irrwitzige Situationen geraten. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit einem Film, dessen Titel sozusagen das Motto der Marburger Kinobetriebe in dieser OAK-Pionierzeit war. 

Wie fing das alles an, wer hatte damals die Idee?

Hubert Hetsch: Es fing an mit einer Idee meines Freundes und Geschäftspartners Gerhard Closmann, dem heutigen Seniorchef der Marburger Kinobetriebe. Im April 1993 rief er mich an und fragte, ob ich die Schlossparkbühne kennen würde. Ich kannte sie nicht von innen, obwohl ich gebürtiger Marburger bin und seit 1965 in den Marburger Filmkunsttheatern am Steinweg tätig war!
Also gingen wir hoch zum Schloss und spähten durch die Hecke auf die Bühne mit den drei Bögen vorne und den Sitzbänken auf dem gepflasterten, mit Gefälle angelegten Boden. Damit hatte ich nicht gerechnet. Das ist ideal für Open-Air-Kino, war unsere gemeinsame Feststellung! Etwas unsicher wegen der Umsetzung der Open-Air-Idee war ich aber doch, denn wir hatten in Marburg oder anderen Orten bis dahin noch nie Open-Air-Kino gemacht. Aber die Magie des Kinos und der Reiz das zu machen war stärker als alle Vorbehalte.

Marion Closmann: Die Freilichtbühne hatte ihre erste Glanzzeit etwas hinter sich und dämmerte so vor sich hin, und in vielen Orten in Deutschland sind Open-Air-Kinos entstanden. Ein solches Angebot wollten wir unseren Kinogästen natürlich auch bieten, und so entstand mit der Stadt Marburg gemeinsam das Projekt. Die Einrichtung eines Open-Air-Kinos auf der Schlossparkbühne war also eine Win-Win-Situation für die Stadt wie auch für die Marburger Kinobetriebe. Hubert Hetsch hat damals den Stier bei den Hörnern gepackt und das Open-Air-Kino zum Laufen gebracht.

Hubert Hetsch: Die Spitzen-Kino-Bildwand – eine Harkness-Perlux-II – hatte bis Anfang der Saison 1994 eine Größe von 60qm, und um richtig CinemaScope zu zeigen, war sie nicht breit genug. Daher kauften wir 1994 weitere Gerüste, ließen einen speziellen Alu-Rahmen fertigen, in dem eine Bildwand von 200qm gespannt war. Noch vor Ende der Saison 1994, bekamen wir das erste Voll-Luftkissen in einer bis dahin weltweit noch nie gebauten Größe von 23m x 12m als Bildwandträger.

Open-Air-Kino 1994: Aufbau des ersten Airscreens (Foto: privat)

Was hat sich im Verlauf der vergangenen drei Jahrzehnte geändert?

Hubert Hetsch: Technisch sehr viel! Der 35mm-Film mit analoger Monospur erhielt eine mehrkanalige analoge Dolby-SR-Tonspur und später den mehrkanaligen Dolby-Digital-Track auf dem Film. Dazu wurden die Lautsprecher-Front-Systeme ergänzt und Surround-Systeme installiert. 2015 mussten die analogen lichtstarken 35mm-Projektoren gegen die neuen digitalen DCP-Projektoren ausgewechselt werden, die ihre Vorteile, aber auch Nachteile gegenüber 35mm-Film haben. Geändert hat sich auch die personelle Leitung und Organisation beim Open-Air-Kino. Marion Closmann ist seit 2019 stark involviert, macht die Programm-Disposition und hilft überall mit.

Unter welchen Aspekten werden die Filme ausgewählt?

Marion Closmann: Oberste Prämisse ist es für uns, möglichst vielen unterschiedlichen Kinobesuchern mit ihren unterschiedlichen Filmgeschmäckern etwas anzubieten, das sie interessiert. Vielfalt ist also vorgesehen.
Wir versuchen dabei, eine gute Mischung zu finden aus den attraktiven Filmen des vergangenen Kinojahres und Klassikern. Die Veränderungen der letzten zwei Jahre in der Kinobranche haben es erfreulicherweise möglich gemacht, dass wir jetzt sogar ganz aktuelle Filme einzelner Filmverleiher parallel zum Kinostart zeigen dürfen.

Hubert Hetsch: Es ist immer eine Mischung aus starken großen Kinofilmen – wie sie im CINEPLEX laufen – und Arthousehits –  wie sie in den CAPITOL-Filmkunsttheatern gezeigt werden. Eine Mischung, die alle “Kino-Geschmacksrichtungen” beinhalten muss, weil wir alle Kinointeressierten ansprechen wollen. Lust auf Kinofilme kann nur im Kino geweckt werden, der wahren Heimat des Films.

Marion Closmann: “Top Gun Maverick” läuft beispielsweise schon am Eröffnungswochenende, noch während er im aktuellen Cineplex-Programm angeboten wird. Auch „Glück auf einer Skala von 1-10“ ist so ein attraktiver ganz aktueller Film, bei dem die Marburger hoffentlich schätzen, dass wir ihn so früh schon Open Air anbieten. 

Tom Cruise als Capt. Pete “Maverick” Mitchell in Top Gun: Maverick (Foto: Paramount Pictures)

Was waren denn besondere Highlights in 30 Jahren OAK?

Marion Closmann: Meine persönliche Lieblingsvorstellung war tatsächlich vor ein paar Jahren „Das Salz der Erde“, ein Dokumentarfilm von und mit Salgado. Beeindruckende Bilder, die auf der großen Open-Air-Leinwand dort nochmal eindrucksvoller gewirkt haben.

Hubert Hetsch: Bisher haben wir im OAK ca. 1000 verschiedene Filmtitel gezeigt. Es sind ungefähr 100 Titel, die ich besonders mag, und die auf unserer riesigen Bildwand die starke Kraft des Kinos demonstrieren. Ein besonderes Ereignis möchte ich jedoch erwähnen. Bei einer der vielen Aufführungen von „Titanic“ kam langsam eine große Nebelwand vom Schloss in Richtung OAK. Exakt an der dramatischen Stelle, als Leonardo DiCaprio im Wasser lag und die Filmnebel ihn umhüllten, hatte die reale Nebelwand die Schloßparkbühne erreicht – und natürlich die Projektion erheblich beeinträchtigt.

Marion Closmann: Besonders bewegend waren für mich auch die ersten Vorstellungen nach dem ersten Lockdown 2020. Zwar durften anfangs nur 100 bis später 250 Gäste – unter striktem Alkoholverbot, wie absurd das im Nachhinein klingt… – eingelassen werden, aber es war immerhin die erste Möglichkeit, wieder Filme für mehr als nur eine Handvoll Gäste anzubieten.

Was macht den besonderen Reiz vom Filmschauen unter freiem Himmel aus?

Marion Closmann: Wenn man unter freiem Sternenhimmel zwischen den schönen großen Bäumen auf der Schloßparkbühne gemeinsam mit Gelichgesinnten sitzt, hinter der schönen großen Leinwand das Marburger Schloss hervorlugt, der Mond daneben aufgeht und der Film begeistert, dann ist das schon besonders. Eine schöner, entspannter, entschleunigter Kinoabend.

Gab es auch mal Flops?

Hubert Hetsch: Natürlich, aber keine filmischen, sondern immer war Regen oder auch plötzliche Kälte der Grund.

Marion Closmann: Wenn es begeisterte Cineasten im Publikum gibt, halten diese aber oft mit Schirmen bewaffnet wacker bis zum Filmende durch. Das beeindruckt! Für Open-Air-Anbieter ist es immer sehr frustrierend, wenn das Wetter die Planungen durchkreuzt. Letztlich ist der Aufwand derselbe, nur das Ergebnis ist dann oft katastrophal…

Die Marburger gehen gerne ins Kino, das ist bekannt. Gibt es den typischen Open-Air-Kino-Besucher?

Marion Closmann: Da bin ich nicht ganz sicher. Ja, wir haben sehr viele Stammgäste, aber ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, auch darüber hinaus viele unterschiedliche Marburger Kino- und Filmfans auf die Schlossparkbühne zu locken.

Auf was darf man sich denn im Jubiläumsjahr besonders freuen?

Marion Closmann: Natürlich auf den kultigen Eröffnungsfilm und dann wie üblich auf ein bunt gemischtes Filmprogramm. Wir spielen in diesem Jahr „in zwei Runden“: zunächst vom 22.6. bis 2.7. und dann ab 20.7. bis 27.8. jeweils von Mittwoch bis Samstag. Es gibt wieder einzelne Vorpremieren, und am 20.7. zur Vorpremiere von „Monsieur Claude und sein großes Fest“ erwarten wir Gäste aus dem Filmteam. Außerdem haben wir in diesem Jahr ein etwas erweitertes Snack- und Getränkeangebot: Es wird in diesem Jahr ein umfangreicheres Weinangebot geben, bei dem man z.B. für eine Gruppe von Gästen auch ganz im „Picknick-Sinne“ sich eine Flasche Wein teilen kann.

Open-Air-Kino 2021: Organisator Hubert Hetsch und seine Frau Irmi vor der Leinwand (Foto: privat)

Zum Schluss bitte noch einen persönlichen Tipp…

Marion Closmann: Ich möchte unbedingt den Film „Glück auf einer Skala von 1 – 10“ am 1.7. empfehlen. Der Film kommt bei allen, die ihn bisher gesehen haben, bestens an und hat in unserer Sneak Preview die beste Bewertung ever erhalten. Eine warmherzige, lustige, aber nicht alberne französische Komödie. Außerdem läuft am 24.6. Karoline Herfurths Film „Wunderschön“, bei dem ich hoffe, dass viele Wiederholungstäter und alle, die es vielleicht aus „Coronavorsicht“ nicht geschafft hatten, ihn sich im Frühjahr im Kino anzusehen, ins Open-Air-Kino kommen.

Interview: Michael Arlt

Bilder mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg, Privat und Paramount Pictures