… ein schönes Städtchen. Diese Erkenntnis drängt sich dem Chronisten immer mal wieder auf. Beim morgendlichen Arbeitsweg zum Beispiel, wenn der Niesel­regen quer durchs graue Tal strömt, der individualisierte Personennahverkehr perlenkettengleich über die Stadtautobahn dröhnt und dazu im Hohen Nebel das bunte Elisabethherz keinen Trost vom Turm hinableuchtet, weil immer noch kaputt.

Weitere Attraktion ist seit längerer Zeit eine zirka einssechzig mal zwei Meter messende Matratze. Die warzt unter dem Steg zum Schülerpark herum. Warum auch immer. Jedenfalls war das morgens wie ein Treffen mit einem etwas pekigen, flüchtigen Bekannten, den man nicht so recht nach Hause einladen möchte, der aber dennoch stets den trägen Synapsen einen willkommenen kleinen Assoziationsschubser verpasst. Ist das ein stiller Protest? Ist das Kunst am Bau? Wächst das womöglich hier? Es mochte sich nicht erschließen …

Und heute morgen dann: Nix. Nada. Zilch. Das Ding ist weg. Nur ein besonders schmuddeliges Rechteck zeugt von seiner ehemaligen Existenz. Über das sich wohl schon bald in sanfter Form des Vergessenmachens das segensreiche Wuchern der Grasnarbe legen wird. Wer trug die Matratze fort? Waren’s die Luftmännchen? Außerirdische? Oder am Ende gar die Mitarbeiter der Müll­abfuhr, die seit einiger Zeit verdächtig oft in den Lahnwiesen zu beobachten sind? Wir wissen es nicht. Hoffen aber, dass auch eingangs erwähnte Sach­ver­halte ebenso bald einer zweckdienlichen Behandlung unterzogen werden mögen.

Denn Marburg ist ja ein schönes Städtchen.

Michael Arlt

Bild mit freundlicher Genehmigung von Michael Arlt