Trauer über den Tod des Ehrenvorsitzenden der Jüdischen Gemeinde und Marburger Ehrenbürgers

Altbürgermeister Egon Vaupel bezeichnete ihn als einen „Mann des Friedens und der Religion“. Seine langjährige Stellvertreterin Monika Bunk nennt ihn eine „charmante Offensivkraft, der man sich gar nicht widersetzen konnte.“ Amnon Orbach, Ehrenvorsitzender der Jüdischen Gemeinde und Ehrenbürger Marburgs, ist am Sonntag im Alter von 94 Jahren gestorben. „Er war das menschliche, freundliche und empathische Gesicht des Judentums in Marburg“, schreibt seine Gemeinde. Wenn sich der offene Antisemitismus in der Universitätsstadt in Grenzen halte, sei dies vor allem sein Verdienst. 

Die Liebe hatte ihn Anfang der 80er Jahre nach Deutschland verschlagen. Der in Jerusalem geborene Ingenieur kam, weil er sich in eine Lehrerin aus Marburg, seine spätere Ehefrau Hannelore, verliebt hatte. Deutsch konnte er anfangs überhaupt nicht. Doch es gelang ihm, sich als Repräsentant einer israelischen Firma eine neue Existenz in Deutschland aufzubauen. 

Damals gab es in Marburg nur noch 25 Menschen jüdischen Glaubens, „aber kein Judentum“, wie er bald feststellte. Deshalb ging er selbst daran, eine lebendige Gemeinde aufzubauen. Er wurde selbst zum Vorbeter. Ab 1989 gab es wieder einen Synagogenraum in einem Fachwerkhaus am Pilgrimstein. Doch durch die Zuwanderung von Menschen aus Osteuropa verzehnfachte sich die Zahl der Gemeindemitglieder. Die bisherigen Räume wurden viel zu klein. 

Sein Lebenswerk und sein Vermächtnis ist die 2005 geweihte neue Synagoge im Marburger Südviertel. Ein repräsentativer Bau aus den 20er Jahren und zugleich ein offenes „Gebetshaus für alle Völker“, so steht es in großen Lettern über der Tür. Die Sandsteintreppen am Eingang stammen vom Vorplatz der Elisabethkirche. In einer Vitrine liegt die mit vertrockneten Olivenblättern und Wurzeln durchzogene Erde, die Amnon Orbach in Plastiktüten vom Tempelberg nach Marburg brachte. Wichtig waren ihm die breiten, bequemen Sitze, die eigens in einem Kibbuz in Israel gezimmert wurden. Heute sind sie als Marburger Synagogenstühle bekannt. 

„Ohne ihn gäbe es vermutlich keine jüdische Gemeinde in Marburg“, schreibt seine Gemeinde nun. Heute sind neben Gottesdiensten auch Bibel-, Judentums- und Hebräischunterricht, Konzerte, Vorträge und Lesungen selbstverständlich.

Amnon Orbach hat Hunderte von Schülerinnen und Schülern durch die Synagoge geführt. Gäste waren ihm auch beim Schabbatgottesdienst und den jüdischen Festen willkommen. Es war ihm wichtig, „dass das Judentum keine fremde, unbekannte oder vielleicht sogar geheimnisvolle Angelegenheit ist“, berichten Weggefährten. Er wollte gern, dass wieder jüdische Gelehrte und Professoren an der Uni lehren, dass es jüdische Ärzte und Richter gibt. Einiges davon habe er sogar verwirklichen können. 

Auch die Islamische Gemeinde trauert um einen langjährigen „Freund der Marburger Muslime“ und einen „Menschen, der sich für Versöhnung und Frieden eingesetzt hat“. Jedes Jahr besuchte Orbach das Ramadanfest und unterstützte die Islamische Gemeinde beim Bau ihrer neuen Moschee. Umgekehrt kam sein Freund Bilal El-Zayat zu den hohen Festen in die Synagoge. Als 2015 eine neue Torah eingebracht wurde, schrieb auch El-Zayat mit Tinte und Gänsefeder an den letzten 15 Buchstaben – das war weltweit das erste Mal, dass ein Muslim bei dieser Zeremonie dabei war. 

„Er hat Brücken gebaut“, sagt Monika Bunk: „Da fehlt er in der momentanen Zeit sehr.“ 

„In Ehrfurcht, Dankbarkeit und tiefer Trauer nehmen wir Abschied von einem Menschen, dem wir viel zu verdanken haben und dessen Wirken in unserer Stadt unvergessen bleiben wird“, würdigen Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies und Stadtverordnetenvorsteherin Elke Neuwohner den verstorbenen Ehrenbürger im Namen von Magistrat und Stadtverordnetenversammlung.  

„Er war ein Glücksfall für die Stadt Marburg“, sagt Bürgermeisterin Nadine Bernshausen über Amnon Orbach. Amnon Orbach sei als Repräsentant eines wieder sichtbaren jüdischen Lebens in der Stadt Marburg immer für den interreligiösen Dialog ansprechbar gewesen. Konflikten sei er nie aus dem Weg gegangen. Gleichzeitig sei er ein warmherziger Gesprächspartner gewesen.  

gec/pe

Bild mit freundlicher Genehmigung von Gesa Coordes