Mit zwei Demos hat Marburg am Montag gezeigt, dass in der Universitätsstadt kein Platz für Martin Sellners Remigrations-Thesen ist. Von dem Rechtsextremisten selbst war wenig zu sehen – er wich für seine Lesung nach Gladenbach aus.

Etwa 4000 Menschen haben am Montag in Marburg gegen eine Lesung des in Deutschland als rechtsextrem eingestuften Österreichers Martin Sellner demonstriert. Sellner hatte angekündigt, auf einer Lesereise aus seinem Buch „Remigration“ in Marburg Station zu machen. Gleich zwei Demonstrationen fanden dagegen statt. Auf der größten Demonstration gegen den Auftritt Sellners versammelten sich laut Stadtverwaltung rund 3000 Menschen vor dem Erwin-Piscator-Haus. 
Mit bunten Transparenten sprachen sich die Teilnehmenden für eine vielfältige Gesellschaft und gegen die „Remigrations“-Fantasien des Österreichers aus, der als ein zentraler Stratege im deutschsprachigen Rechtsextremismus gilt und mehrere Jahre Sprecher der vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Identitären Bewegung Österreichs war.

Eingeladen zu der Kundgebung vor dem Erwin-Piscator-Haus hatte die Stadt Marburg und das Netzwerk für Demokratie. „Wir stehen hier zusammen, weil wir zusammengehören. Weil alle ein unverzichtbarer Teil unseres Gemeinwesens sind. Weil wir nur gemeinsam vollständig sind. Und wir stehen hier, weil wir keine menschenfeindliche Propaganda dulden werden“, sagte Oberbürgermeister Thomas Spies. Georg Falk, Sprecher des Netzwerkes für Demokratie und gegen Rechtsextremismus, betonte, dass die Garantie der Menschenwürde ein zentrales Fundament unserer Rechtsordnung sei: „Es darf in dieser Gesellschaft keinen Raum für die rechten Hetzer geben. Null Toleranz – das muss die Leitlinie sein.“ 

„Wir lassen uns nicht provozieren von einer Lesung eines Mitdreißigers aus Österreich, aber wir lassen uns animieren um zu zeigen, was für uns als Demokraten wichtig ist“, sagte der Erste Kreisbeigeordnete Marian Zachow. Für Sareh Darsaraee vom Ausländerbeirat der Stadt Marburg ist klar: „Deutschland ist unser aller Heimat.“ Daher sei ihr die Zukunft des Landes ebenso wichtig, wie den hier geborenen Menschen. „Die geografischen Grenzen hinter denen unsere Geburtsorte liegen – das ist der einzige Unterschied zwischen uns.“ 

Für die Gewerkschaften sagte Murat Kara als Mitglied des Bezirksvorstands der DGB-Jugend: „Diese Menschen behaupten, sie würden sich für die ,kleinen Leute‘ einsetzen. Aber das stimmt nicht – sie wollen unsere Gewerkschaften schwächen, die Rechte der Arbeitnehmer*innen beschneiden und die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vergrößern.“

„In Marburg ist kein Platz für intolerante Faschisten“, betonte Thorsten Büchner unter dem Jubel der Demonstrierenden. Als stellvertretender Vorsitzender sprach er im Namen der Stadtverordnetenversammlung, die nahezu einstimmig den Auftrag für die Kundgebung gegeben hatte.

Bis zu 1000 Teilnehmende hatten sich laut Polizei einer zweiten Demo angeschlossen, die zu Burschenschaftshäusern in der Oberstadt führte, die als Austragungsort für Sellners Lesung vermutet wurden. Dabei gab es in der blockierten Lutherstraße mehrere Kundgebungen. Nach deren Ende zogen einzelne Teilnehmende von der Oberstadt bis in die Afföllerstraße, wo es laut Polizei zu vereinzelten Straßenblockaden durch eine Gruppe von etwa 150 Menschen kam, bei denen Rauchtöpfe gezündet wurden. Dass bei den Redebeiträgen in der Oberstadt die anwesenden Polizisten als „Nazis in Uniform“ bezeichnet wurden, kritisierte die Deutschen Polizeigewerkschaft scharf. „Solche öffentlichen Äußerungen sind der Nährboden, aus dem Gewalt gegen Einsatzkräfte hervorgeht“, sagte die Kreisverbandsvorsitzende Marilia Thomas.

Sellner selbst tauchte in der Oberstadt nicht auf, dafür aber abends in 20 Kilometer Entfernung in Gladenbach. Dort las er laut Polizei vor gerade mal 50 Personen. Die Polizei verhinderte nach eigenen Aussagen eine Konfrontation zwischen Teilnehmenden der Lesung und Gegendemonstranten. Auf seinem „Telegram“-Kanal postete der Rechtsextremist außerdem ein Video, dass ihn in Marburg zeigt – auf dem Parkplatz an der Stadtautobahn nahe der Mosche bei St. Jost.

kro

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg