Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach besucht Universitätsklinik 

„Wir brauchen mindestens 100 Millionen Euro für die Long-Covid-Foschung“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bei seinem Besuch im Marburger Universitätsklinikum. Das privatisierte Großkrankenhaus bietet – neben der Berliner Charité – das einzige interdisziplinäre Post-Covid-Zentrum Deutschlands.

Bei der Erforschung von Long Covid nach Infektionen oder Impfungen sei der Standort Marburg führend und „von zentraler Bedeutung“, sagte Lauterbach bei dem Treffen am späten Montagnachmittag. Das war auch der Grund, warum der Minister die Universitätsstadt besuchte. Der Marburger Kardiologe Prof. Dr. Bernhard Schieffer berät das Bundesgesundheitsministerium bei Fragen rund um die Langzeitfolgen von Corona. Bereits 2021 hat er das interdisziplinäre Post-Covid-Zentrum in Marburg gegründet, in dem sich ein Team aus Kardiologen, Lungenärzten, Neurologen und Psychiatern um die Kranken kümmert. Seit Januar gehört dazu auch eine Sprechstunde für Patienten mit Long-Covid-Symptomen nach einer Corona-Impfung.

In Marburg werden sogenannte Off-Label-Medikamente eingesetzt, also Arzneien wie das Diabetes-Medikament Metformin, dessen Wirkstoff aber auch gegen Long-Covid-Symptome wirkt. Derzeit wird eine Liste für solche Medikamente erstellt, damit sie in Zukunft auch regulär verordnet werden können, berichtete Lauterbach.

In der Marburger Ambulanz werden jedes Jahr rund 3000 Patienten gescreent, rund 900 vor Ort behandelt. Zudem gibt es Video-Sprechstunden. Dennoch stehen noch 4000 bis 5000 Kranke auf der Warteliste. Deswegen brauche es über die gesamte Republik verteilt Schwerpunktzentren, sagte Schieffer. Zudem steige die Zahl der Betroffenen mit jeder neuen Corona-Welle weiter, berichtete Lauterbach: „Wir müssen noch mit vielen Fällen rechnen“. Und er betonte: „Das sind schwere Erkrankungen. Und wir haben noch keine Heilung.“ Deswegen kämpfe er für mehr Geld für die Forschung. Derzeit stehen 40 Millionen Euro zur Verfügung.

Großes Medieninteresse bei dem Besuch von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in Marburg. (Foto: Gesa Coordes)

„Von Routinediagnostik und Standardtherapien sind wir weit entfernt“, berichtete Schieffer. Für die Forschung brauche es Zeit und „detektivische Arbeit“. In Marburg gibt es eines der wenigen kardiologisch-immonologischen Labore für Long Covid. Dort werden Herzmuskelproben auf entzündliche Veränderungen untersucht. Zudem wird ein sehr kleiner Teil der Patienten in Marburg mit Apharese therapiert. Dabei handelt es sich um eine Art Blutwäsche, die allerdings nur bei Kranken angewandt wird, die sowohl unter Long Covid als auch unter einer Fettstoffwechsel-Störung leiden. So wie die 39-jährige Marburger Patientin, die nach einer Impfung so viele Long-Covid-Symptome entwickelte, dass sie „völlig zusammenbrach“, wie sie vor den Journalisten schilderte. Inzwischen kommt sie alle drei bis fünf Wochen zur Apharese in die Marburger Klinik, kann wieder arbeiten und sich um ihre Kinder kümmern.

Zweites wichtiges Thema vor Ort war das DRK-Krankenhaus Biedenkopf im Marburger Hinterland, das vor zwei Wochen Insolvenz anmelden musste. Lauterbach zeigte sich überzeugt, dass die von seinem Ministerium geplante große Krankenhausreform auch dieser Klinik helfen wird: „Aus meiner Sicht ist das ein Haus mit einer sehr guten Perspektive. Mit der großen Reform, die wir jetzt planen, erhalten wir diese Standorte besser“, sagte er. Die ebenfalls angereiste Bundesinnenministerin Nancy Faeser, die derzeit in Hessen Wahlkampf macht, ergänzte, dass es eine Übergangsfinanzierung durch das Land brauche.

Angesichts des Protesttags der Ärzte, die am Montag vielerorts ihre Praxen dicht machten, sprach er sich für eine Entbudgetierung der Hausärzte aus. Zudem möchte er 5000 zusätzliche Medizinstudienplätze pro Jahr einrichten: „Sonst können wir die Babyboomer-Generation nicht ausreichend versorgen“, sagte er. Weitergehende Honorarforderungen der Ärzteschaft wies er jedoch zurück. Bei Durchschnittseinkommen von 10.000 Euro netto sei die Honorierung nicht das Hauptproblem der Mediziner, sagte er. Lauterbach nahm stattdessen die Perspektive der Patienten ein, die nicht noch mehr belastet werden sollten. Im Herbst müssten die Beitragssätze der Versicherten ohnehin angehoben werden. Sie noch weiter zu erhöhen, hält er für nicht vertretbar. „Hier brauchen wir keine Neid-Debatte“, sagte Lauterbach.

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Gesa Coordes