EXPRESS: Sie sehen den Wohnungsbau als einen der Kernpunkte im Haushalt. Wie viele Wohnungen fehlen in Marburg?

Thomas Spies: Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten fünf Jahren noch etwa 1500 Wohnungen brauchen. Das sind 300 pro Jahr – also in etwa die Quote, die wir bisher geschafft haben. Zu den 1500 Wohneinheiten gehören Wohnungen, Einfamilienhäuser, sozialer und privater Wohnungsbau.

Es gibt einen Trend zum Wohnen in der Stadt, das finde ich gut. Wer in Marburg wohnt, kann den Öffentlichen Personennahverkehr nutzen. Denn wir müssen heutzutage Wohnen, Arbeiten, Mobilität als Einheit denken – also die Wohn­raum­ent­wicklung an die Mobilitätsmöglichkeiten der Bürger anpassen. Es ist nicht mehr damit getan, in einem neuen Wohngebiet einfach eine Straße zu bauen.

EXPRESS: Für welche Personengruppen fehlen Wohnungen?

Thomas Spies: Für Leute mit nicht so viel Geld. Bezahlbarer Wohnraum bleibt die wichtigste soziale Frage in Marburg: Es fehlen derzeit noch 300 Sozial­wohnungen und natürlich vor allem preiswerter Wohnraum für Menschen, die keine zu hohen Mieten bezahlen können, für junge Familien, Angestellte, Arbeitnehmer.

Weil gerade Neubaumieten auf dem freien Wohnungsmarkt in der Regel bei zweistelligen Quadratmeterpreisen liegen, wollen wir ein Modell für Menschen mit nicht so hohem Einkommen ausprobieren: Hinter der alten Hauptpost sollen von einem privaten Bauherrn 100 neue Wohnungen für unter zehn Euro Miete pro Quadratmeter entstehen.

EXPRESS: Ist der studentische Wohnungsmarkt immer noch angespannt?

Thomas Spies: Das Problem scheint sich etwas zu entspannen. In Marburg sind in den vergangenen sechs Jahren insgesamt 2500 Wohnungen gebaut worden. Das ist eine beachtliche Zahl, das gab es seit Jahrzehnten nicht mehr.

EXPRESS: Auf die Zahl von 2500 Wohnungen kommt man, wenn man alle Bauträger – also sowohl mit hochpreisigen als auch günstigeren Wohnungen zusammenzählt …

Thomas Spies: Ja. Das sind sämtliche Bauherren und auch private Hausbauer.

EXPRESS: Für 2020 sind rund 5,5 Millionen Euro im städtischen Haushalts­entwurf für den Wohnungsbau vorgesehen. Wofür konkret? Was muss am schnellsten umgesetzt werden, um den Wohnungsmarkt zu entspannen?

Thomas Spies: Das Geld ist zum einen für Wohnungsbau-Darlehen – also zur Verbesserung des sozialen Wohnungsbaus – und zur Verbesserung der Finanzlage der GeWoBau Marburg. Dazu kommen Mittel für barrierefreies Wohnen und für den sozialen Energiebonus, mit dem wir – durch energetische Wohnraumsanierung – den Klimaschutz voranbringen wollen.

Viel wichtiger ist aber, dass die GeWoBau, also unsere städtische Wohnungs­bau­ge­sell­schaft, mit großem Engagement neue Wohnungen baut – und in den nächsten drei Jahren zehn Mal so viel Geld – also 50 Millionen Euro – einsetzt.

EXPRESS: Die GeWoBau hat in der Vergangenheit zahlreiche ihrer Wohnungen verkauft – eine Fehlentwicklung bei dem angespannten Wohnungsmarkt. Ist diese Entwicklung gestoppt worden?

Thomas Spies: Ja. Wir machen das seit zwei Jahren nicht mehr. Wir möchten, dass die Wohnraumkapazität der GeWoBau größer wird. Und wir wollen, dass mehr Wohnraum in öffentlicher Hand ist. Das eröffnet uns erhebliche Steuer­ungs­möglichkeiten, die wir als Stadt bei den Projekten privater Bauherren nicht haben.

EXPRESS: Die GeWoBau will 50 Millionen Euro in den nächsten drei Jahren in neue Wohnungen investieren: Was sind die wichtigsten Projekte?

Thomas Spies: Die GeWoBau hat aktuell 2600 Wohnungen. Davon ist ein Drittel noch in der Mietpreisbindung. Der Rest sind formal keine Sozialwohnungen mehr, die Wohnungen kosten aber trotzdem im Durchschnitt nur 5,20 Euro Miete pro Quadratmeter. Wir achten bei der GeWoBau darauf, dass die Preise – auch bei Neuvermietungen – nur sehr zurückhaltend ansteigen. Damit wir den Bedarf von Menschen, die eine Sozialwohnung brauchen, decken können.

Die GeWoBau schafft neue Wohnungen in der Graf-von-Stauffenberg-Straße, im Försterweg in der Nordstadt, in der Magdeburger Straße in Wehrda und in Michelbach-Nord. In der Friedrich-Ebert-Straße errichten wir ein Eckhaus in Holzbauweise – Stichwort CO2-neutrales Bauen. In der Poitierstraße in Weidenhausen entsteht ein Projekt für gemeinschaftliches Wohnen.

Insgesamt gehen wir von 110 neuen Wohneinheiten der GeWoBau aus, davon sind 16 Reihenhäuser. Das werden zum Teil Sozialwohnungen, zum Teil preis­werter Wohnraum.

EXPRESS: Reicht der soziale Energiebonus in Höhe von zwei Millionen Euro, der im Haushaltsentwurf steht, damit die Mieten nach einer teueren energetischen Sanierung nicht steigen?

Thomas Spies: Ich will zunächst erläutern, worum es uns geht: Heizen ist die wichtigste Quelle für CO2-Emissionen. Wer den CO2-Ausstoß verringern will, muss überlegen, welche Art Heizung ein Gebäude hat – und wie man es dämmt. Schaut man sich den zulässigen Heizenergie-Verbrauch pro Quadratmeter in den verschiedenen Energieverordnungen der letzten Jahre und Jahrzehnte an, stellt man fest: Der Verbrauch nimmt dramatisch ab, selbst wenn alle nur das tun, was sie laut Verordnung tun müssen.

Die energetische Sanierung von Gebäuden, die Isolierung der Wände, der Fenster, der Einbau einer Heizung, die möglichst wenig oder gar keine fossile Energie verbraucht – all das ist nicht kostenneutral. Wer das macht, spart zwar Energiekosten ein. Aber im Mittel nicht genug, dass trotz einer solchen Sanierung die Warmmiete nicht steigt.

Wir reden aber über Gebäude, in denen überwiegend Leute leben, die nicht viel Geld haben. Menschen, für die zum Beispiel 30 Euro Miet­er­höhung viel Geld sind. Deshalb sagen wir, dass wir als Stadt einen Zuschuss – den sozialen Energiebonus – geben müssen, damit es wegen Sanierungen keine Miet­er­höhungen gibt und am Ende warmmietenneutral saniert werden kann. So erhöhen wir auch die Akzeptanz dafür bei den Mietern.

Die Bekämpfung der Klimakrise ist eine zentrale Zukunftsaufgabe. Unser zentraler Ansatz dabei ist, dass Klimaschutz nicht zu Lasten der Menschen mit kleinen Einkommen gehen darf.

EXPRESS: Mit zwei Millionen Euro Bonus für ganz Marburg kommt man aber wohl nicht weit …

Thomas Spies: Die zwei Millionen Euro stehen jetzt als Verpflichtung im Haushalt, sie werden natürlich nicht für die Zukunft reichen. Zusätzlich zur finanziellen Seite müssen auch die Vermieter für energetische Sanierungen gewonnen werden. Das ist ein Prozess, der dauert. Auch wenn sie überzeugt sind, können sie dann nicht einfach in die Wohnungen ihrer Mieter gehen und verkünden: “Wir machen jetzt bei Ihnen eine energetische Sanierung”. Auch die Mieter müssen mitmachen wollen. Man muss auch sie von der Wichtigkeit überzeugen. Gebraucht werden zudem Handwerker und Bauunternehmen. Die sind zurzeit schwer zu kriegen, weil insgesamt sehr viel gebaut wird.

Der soziale Energiebonus ist auch ein Instrument, um Mieter und Vermieter von der Wichtigkeit einer energetischen Sanierung zu überzeugen. Die GeWoBau geht mit gutem Beispiel voran: Sie wird mit dem sozialen Klimabonus elf Wohnhäuser auf dem Richtsberg sanieren. Zwei sind bereits modernisiert.

EXPRESS: Am Hasenkopf am Stadtwald soll ein neues Wohngebiet mit 300 Wohnungen entstehen. Am Rotenberg sollen rund 30 bis 40 Wohnungen und ein Lebensmittelmarkt entstehen. Wann können die ersten Mieter einziehen?

Thomas Spies: Am Hasenkopf in fünf bis sechs Jahren. Dort haben wir ein sehr aufwändiges Beteiligungsverfahren mit den Bürgerinnen und Bürgern gemacht. Nach den Kriterien, die dort erarbeitet wurden, schreiben wir jetzt einen städtebaulichen Wettbewerb aus, danach folgt der Bebauungsplan – wieder mit Beteiligung –, dann die Erschließung des Geländes und schließlich der Bau. Es gibt tolle Überlegungen und Ideen für ein klimaneutrales Quartier. Das finde ich ein wichtiges Ziel. Wir werden versuchen, dass erfolgreich und bezahlbar umzusetzen. Genauso ist es mit den Forderungen nach einer naturnahen Entwicklung. Diese Ideen sind klasse. Wenn wir einen Stadtteil so entwickeln wollen, dauert das eben die Zeit, die nötig ist. Am Rotenberg geht es schneller. Dort machen wir eine Ausschreibung für gemeinschaftliches Wohnen, bei der sich private Gruppen von Menschen bewerben können. Außerdem baut die GeWoBau am Rotenberg auch Sozialwohnungen. Ich denke, in drei Jahren kann man dort einziehen.

Interview: Georg Kronenberg

Bild mit freundlicher Genehmigung von Georg Kronenberg