Die Beschäftigten des Pharmaherstellers Biontech stehen unter Schock: Am Produktionsstandort Marburg soll rund die Hälfte der Belegschaft gehen.
Nach Auskunft von Alexander Wiesbach von der Gewerkschaft IGBCE plant das Unternehmen, in den kommenden drei Jahren 315 Stellen abzubauen. Bislang arbeiten 670 Menschen am Marburger Standort. „Die Bombe ist geplatzt“, sagte Wiesbach. Im Betrieb herrsche große Unsicherheit und Enttäuschung.
Der Grund für den geplanten Stellenabbau ist ein massiver Gewinneinbruch. Nach dem jüngsten Quartalsbericht machte Biontech 2024 einen Nettoverlust von 700 Millionen Euro. Hauptgrund für die großen Verluste sind hohe Investitionen in die Entwicklung von innovativen Krebsmedikamenten. Nach Mitteilung des Unternehmens, das weltweit etwa 7200 Beschäftigte hat, sind vor allem die klinischen Studien teuer. Für Marburg kommt noch hinzu, dass die Nachfrage nach Corona-Impfstoffen stark gesunken ist. Allerdings trifft es keinen anderen Standort in Deutschland so hart wie die Universitätsstadt. In Idar-Oberstein, wo verschiedene Biontech-Produkte hergestellt werden, soll ein Drittel der derzeit 450 Vollzeitstellen verloren gehen. Weltweit sollen zwischen 800 und 1200 Stellen abgebaut werden. Gestärkt wird jedoch der Stammsitz Mainz, wo 350 neue Posten geplant sind.
Wie es für die Beschäftigten in Marburg konkret weitergeht, ist nach Auskunft von Wiesbach noch relativ nebulös. Für Donnerstag, 13. März, ist eine Betriebsversammlung geplant. Unter den 670 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien mehr als 120 befristet Beschäftigte, die nun besonders um ihre Jobs bangen. Möglicherweise könnten auch einige an den Firmensitz nach Mainz wechseln – in der Belegschaft finden sich viele hoch qualifizierte Fachkräfte. Die Gewerkschaft frage aber zunächst, ob es überhaupt sinnvoll sei, so viele Stellen abzubauen. Zudem erwarteten sie „ein Bekenntnis zum Standort“.
Während der Corona-Pandemie war das Marburger Werk geradezu berühmt geworden, weil in Marburg der erste weltweit zugelassene Corona-Impfstoff hergestellt wurde. Sowohl Ex-Kanzlerin Angela Merkel als auch Noch-Kanzler Olaf Scholz besuchten das Unternehmen, das Marburg zum Standort für die Produktion des Covid-Impfstoffs auf der Basis der sogenannten mRNA-Technologie machte. Dazu hatte Biontech das Werk des Schweizer Pharmariesen Novartis gekauft, wodurch Biontech zugleich die vorhandene Infrastruktur und das Fachwissen vor Ort übernehmen konnte.
Allein 2021 wurden 1,2 Milliarden Impfdosen in Marburg produziert. Im selben Jahr stiegen die Gewerbesteuereinnahmen in der Universitätsstadt auf die Rekordsumme von 481 Millionen Euro – in Hessen konnte nur die ungleich größere Metropole Frankfurt höhere Einnahmen erzielen. Mit den Millionen-Verlusten von Biontech geraten nun auch die Finanzen der Stadt Marburg in Schieflage. Die Stadt verhängte deshalb eine Haushaltssperre und muss massiv sparen.
Hinter Biontech steht das Ärzte-Ehepaar Özlem Türeci und Ugur Sahin, die vor mehr als 20 Jahren als kleines Onkologie-Team in der Krebsforschung starteten. Der Impfstoff gegen Covid-19 war das erste kommerziell zugelassene Produkt ihres 2008 gegründeten Unternehmens. Im Mai 2022 erhielten sie die Ehrendoktorwürde der Marburger Philipps-Universität.
gec