Produktionsstillstand, Kurzarbeit und Absatzkrisen: Seit Jahren kämpfen die Tapetendrucker mit den Umbrüchen der Welt. Sanktionen, Unruhen und der Arabische Frühling schlagen sich in den Bilanzen nieder. Und nun auch noch Corona.

Seit dem 23. März sind die Mitarbeiter der Marburger Tapetenfabrik in Kurz­arbeit. Voraussichtlich bis zum Sommer werden sie nur noch jede zweite Woche arbeiten. Wie es weitergeht, wird immer wieder neu entschieden: “Viele haben Angst, ihren Arbeitsplatz zu verlieren”, berichtet Betriebsratsvorsitzender Armin Sackewitz. Zudem haben die Drucker mit Kurzarbeit 50 netto bis zu 400 Euro weniger in der Tasche als zuvor. Und die Tapetenindustrie hat es ohnehin schon schwer: “Wir liegen schon am Boden und kriegen jetzt noch einmal so etwas obendrauf”, sagt der Betriebsratsvorsitzende: “Das kann man wirklich nicht gebrauchen.”

Tatsächlich hat das 175 Jahre alte Unternehmen, das mit Künstlern wie Colani, Glööckler und Nena zusammenarbeitet, leidvolle Erfahrung mit den Krisen der Welt. Die Marburger Tapetenfabrik, die ihren Hauptsitz in Kirchhain hat, macht nämlich zwei Drittel ihres Umsatzes im Ausland. Der wichtigste Absatzmarkt findet sich in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, vor allem in Russland. Dort lieben die Menschen opulente Tapeten mit viel Gold und barocken Formen. Bis 2013 ging etwa jede dritte Tapete aus Marburg in den Osten.

Doch 2014 kam die Annexion der Krim. Daraufhin verhängte dieEuropäische Union Sanktionen gegen Russland. In der Folge verlor der Rubel drastisch an Wert. Die Menschen hatten schlicht kein Geld mehr, um die teureren Tapeten aus Deutschland zu kaufen. Und damit brachen auch die Umsätze in der Marburger Tapetenfabrik ein. Ebenso erging es den Tapetenherstellern Rasch im norddeutschen Bramsche und der börsennotierten A.S. Création in Gummers­bach.

Schon länger abgestürzt ist der Markt im Nahen und Mittleren Osten. “Durch den Arabischen Frühling kam es bei uns zu Umsatzeinbußen”, erzählt der Marketing- und Vertriebs-Geschäftsführer der Marburger Tapetenfabrik, Wolf Kappen. Bis zum Sturz des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 schickten die Marburger jedes Jahr mehr als 60.000 Tapetenrollen in das nordafrikanische Land. Seitdem ist der Absatz auf Null zurückgegangen. Kappen fürchtet sogar, dass der dortige Händler ums Leben gekommen ist.

Eingebrochen sind aber auch die Märkte in Ägypten – das Land steckt in einer massiven Wirtschaftskrise – und im Iran, einst einer der wichtigsten Export­märkte. “Chomeini hielt seine Brandreden vor unserer Textiltapete”, erinnert sich Kappen. Doch durch die Sanktionen der Amerikaner haben die Iraner kaum noch Geld – der Absatz ging drastisch zurück.

Das trifft die Mitarbeiter schon seit Jahren: Bei der Marburger Tapetenfabrik gab es 2013 noch 380 Mitarbeiter. Heute sind es 320 Beschäftigte. Und ins­gesamt gingen die Umsätze bei den deutschen Herstellern 2019 erneut um fünf Prozent zurück, so das Deutsche Tapeten-Institut. Damit dies keine weiteren Arbeitsplätze kostet, hat ver.di mit dem Unternehmerverband der Papier­ver­arbeitung eine Sonderregelung getroffen. Danach kann die Jahres­sonder­zah­lung bei negativem Betriebsergebnis um 30 Prozent gekürzt werden. Möglich ist es auch, die Arbeitszeit zu verlängern oder zu verkürzen.

Bei der Werbung für die Tapete ziehen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleich­wohl an einem Strang: Zum Auftakt der bundesweiten Aktion “Deutschland tapeziert” ging Anfang des Jahres fast die ganze Belegschaft der Marburger Tapetenfabrik vor das Werkstor, jeder mit Plakaten und Tapetenrollen in der Hand. Das Ziel der Aktion, an der sich mehr als 40 Hersteller, Handelspartner und die Industrie beteiligten: Die Tapete wieder ins Bewusstsein holen. Vor allem junge Leute sollen mit Bloggern, Influencern und Gewinnspielen auf Instagram, Facebook und Pinterest erreicht werden. Denn der aktuelle Baustil mit großen Fensterfronten, offenen Wohnräumen, karger Einrichtung und Putz anstelle von Tapeten schadet der Branche. Zudem herrsche bei vielen “immer noch das Image von Omas Blümchentapete” vor, sagt der Geschäftsführer des Deutschen Tapeten-Instituts, Karsten Brandt.

Und so ist das Inlands-Geschäft eine Stütze in der Corona-Krise. Weil die Menschen mehr Zeit in den eigenen vier Wänden verbringen, werden mehr Tapeten in den deutschen Baumärkten verkauft.

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Marburger Tapetenfabrik