Kamerapreisträger Philippe Rousselot im Interview.

Er hat mit Robert Redford, Tim Burton, Denzel Washington und vielen anderen Hollywoodgrößen gedreht. Für seine Kameraarbeit in Redfords “Aus der Mitte entspringt ein Fluss” gewann Philippe Rousselot den Oscar, zwei weitere Male war er nominiert.
Als einer der „einflussreichsten Kameraleute der vergangenen Jahrzehnte“ hat Rousselot am Wochenende den Marburger Kamerapreises erhalten. Einen Masterplan für seine Arbeit verfolgt der französische Kameramann dabei nicht: Für jeden Film gebe es eine eigene Sprache, die neu gelernt werden müsse, erzählt der 76-Jährige im Express-Interview.

Herr Rousselot, zu Ihren Filmen gibt es eine unglaubliche Menge zu entdecken. Es ist eine kleine Herausforderung, passende Fragen zu Ihrem Werk zu finden.

So, wirklich? Nett, dass Sie das sagen.

Die Jury des Marburger Kamerapreis lobt Ihre präzise, kreative Arbeitsweise und Ihre große Flexibilität. Woher kommt das?

Wissen Sie, das kann ich gar nicht sagen. Ich kann meine Arbeit selbst nicht beurteilen. Ich tue einfach, was nötig ist. Die Menschen kommen dann und sagen, ich sei kreativ oder präzise. Ich habe dazu kein Urteil. Es ist fast so, dass ich nicht weiß, worüber die Leute reden.

Tatsächlich?

Ich sage damit nicht, dass Ihre Frage keinen Sinn macht. Ganz im Gegenteil – ich habe lediglich keine Antwort. Ich wünschte, ich könnte sie geben. Ich würde eine Menge lernen, wenn ich sie wüsste. Wissen Sie, es ist gar nicht so, dass es schwierig wäre, über meine Arbeit zu reden. Aber was ich tue, ist sehr bodenständig, sehr trivial. Ich komme ans Set, stehe vor einer Reihe von Problemen und Fragen. Ich behandle diese Probleme eins nach dem anderen, so gut ich kann. Aber ich habe dabei keinen großen Plan, kreativ zu sein oder präzise, weich oder hart. Ich nehme die Dinge, wie sie kommen und versuche Lösungen für – wie ich es nenne – triviale Probleme zu finden: Wohin stelle ich die Kamera, was will man sehen und was nicht? Mögen Sie dieses, mag ich jenes nicht? Gibt es etwas, was ich aus dem Bild ausblenden möchte? Gibt es etwas, was ich hinzufügen möchte? Es ist ein Problem nach dem anderen, das meine Arbeit am Ende bestimmt. Wenn ich fertig bin – üblicherweise nach dem final print – vergesse ich alles.

Das klingt recht entspannt.

Ich arbeite also fast ganz entgegen Ihrer Argumentation. Aber ich freue mich sehr, dass Sie meine Arbeit hinterfragenswert finden.

Doch, absolut. Aber finden Sie nicht, dass Ihr Werk sehr vielfältig ist, eine unglaublich große Bandbreite abdeckt?

Ja, da gibt es eine große Vielfalt an Filmen, an denen ich gearbeitet habe. Ich hatte die Chance, mit sehr verschiedenen Regisseuren zu drehen, unterschiedliche Drehbüchern zu verfilmen und habe mich in verschiedenen Genres bewegt. Es gibt nur wenige, in denen ich nicht gearbeitet habe: Ich habe nie einen Western gedreht und keine typischen Horrorfilme. Ich habe nur sehr wenige Komödien gedreht – und ich bereue das. Ich bedauere nicht, wenige Komödien gemacht zu haben. Aber ich hatte – bis auf ein oder zwei Ausnahmen – keine Angebote für Komödien, die es wert gewesen wären. Sagen wir es so: Ich hatte nicht die Chance, dieses Gebiet ausgiebig auszukundschaften. Aber davon abgesehen habe ich eine Menge verschiedener Filme gemacht.

Die Vielfalt rührt eher von meinen Entschlüssen, bestimmte Filme zu drehen her, als von meiner Persönlichkeit – denn man muss sich immer auf die Art des Films einstellen können.

Das scheint Ihnen sehr gut gelungen zu sein. Nicht jeder hat diese Fähigkeit.

Ich könnte Ihnen eine ganze Reihe von Kameramännern nennen, die das sehr gut können – besser als ich. Aber das ist Teil des Jobs. Ich habe einen Ausdruck dafür: Ich denke, jeder Film hat eine eigene Sprache. Zu einem neuen Film zu kommen, heißt, einen neue Sprache zu lernen. Aus diesem Grund mag ich es nicht, an Fortsetzungen zu arbeiten – ich beherrsche die Sprache beim zweiten, dritten oder vierten Film schon. Was mich interessiert, sind neue Sprachen zu lernen.

Sie haben viele historische Filme gedreht. Haben diese period pieces eine spezielle Sprache?

Ich habe nicht viele historische Filme gedreht, eher ein paar. Aber natürlich sind diese Filme sehr interessant, weil sie einen aus der gewöhnlichen, visuellen Landschaft des eigenen Lebens herausbringen. Ich hatte dort die Gelegenheit, einige Recherchen zu betreiben – ich mag es, Bücher zu geschichtlichen Themen zu lesen. Man muss das zum Wohl des Films, aber auch zum generellen Wohl tun, denn man lernt dabei. Die Recherche erzeugt eine riesige Menge kleiner Fragen – manchmal irritierende Fragen – wie man sich dem Thema beim Dreh nähert.

Aber ich denke, Komödien sind sehr interessant. Ich sage sicherlich nichts Neues, aber… die Essenz des Kinos ist die Komödie. Einer der ersten Kinofilme – „L’Arroseur arrosé“ [Der begossene Gärtner, A.d.R] von den Lumière-Brüdern – ist eine Komödie. Nicht besonders lustig, aber eine Komödie. Und warum? Weil Kino die Kunst ist, Gegensätze und Unterschiede zusammenzubringen! Es ruft Emotionen – Liebe – in uns hervor, einfach indem es Dinge zusammenklebt, die gewöhnlich nicht zueinander gehören. Das ist im Wesentlichen, wozu Kino fähig ist. Man muss nur zwei Streifen Film zusammenkleben – so bringt man uns zum lachen. Wissen Sie, ich erinnere mich an alle Filme von Buster Keaton und Charlie Chaplin… Das ist Kino in seiner reinsten Form.

Wie sähe es aus, wenn Sie eine Komödien drehen würden?

Oh, das weiß ich nicht. Es sollte einfach etwas sein, das der Situation entspricht; dem Drehbuch, dem Set und dem, was die Schauspieler tun. Ich gebe keine Rezepte für Komödien. Was ich aber damit sagen möchte: Wenn Sie an einer Komödie arbeiten – an einer guten Komödie mit einem guten Script – dann offenbart sich die Essenz des Kinos.

Lassen Sie uns übers Licht sprechen. Die Kamerapreis-Jury lobt Ihren Umgang mit Licht. Was ist Ihr Geheimnis, dass Sie damit die Stimmung in einem Film so gut treffen können?

Zuallererst weiß man nie, ob das, was man tut, das richtige ist. Wenn der Film erfolgreich ist und die Leute ihn mögen – dann hat man wahrscheinlich das richtige getan.
Aber es gibt das Element Logik. An jedem Ort, an den man eine Kamera stellt, herrscht eine bestimmte Logik vor. Die Position der Kamera fügt eine weitere, eigene Logik hinzu. Dann sind die Schauspieler am Set, die ihrer Tätigkeit nachgehen. Das schafft eine weitere Logik. All diese verschiedenen Logik-Ebenen muss man zusammenfügen, auch wenn sie sich manchmal widersprechen.
Man kann ein Set beispielsweise wundervoll ausleuchten, das nützt aber nichts, wenn die Schauspieler im Schatten und nicht zu erkennen sind.
Bei meiner Arbeit gibt es keinen großen Masterplan. Am Ende sieht man in die Kamera und sagt: Okay, das nehm’ ich.

Das müssen Sie genauer erklären.

Wesentlich ist, dass man eine Geschichte erzählen will. Dabei konzentrieren Sie sich den größten Teil der Zeit auf die Schauspieler. Meistens, aber nicht immer, müssen die Schauspieler im besten Licht stehen. Wenn Sie dann in die Kamera schauen, müssen Sie entscheiden, ob Sie etwas aus dem Bild eliminieren. Was Sie nicht sehen möchten, stellen Sie in die dunklen Bereiche. Ich arbeite oft subtrahierend.

Fügen Sie den Filmen nicht auch Dinge hinzu? Sie setzen chinesische Laternen ein. Bringt deren Licht dem Film nicht ein Element hinzu?

Nein, die Laternen helfen lediglich beim Dreh. Man will beim Dreh kontrollieren, wie sich das Licht verteilt. Die Laterne ist nur ein Papierball, in der sich eine Glühbirne befindet – sie ist selbst in keiner Weise interessant. Es kommt darauf an, wie man die Laterne einsetzt.

Wie sind Sie auf die kreative Idee gekommen, die chinesischen Laternen beim Dreh einzusetzen?

Das einzig Kreative daran ist, das mir die Laternen halfen, meine Vorstellungen besser und schneller umzusetzen. Das ist eine technische Angelegenheit. Ich wollte die Schauspieler besser vom Hintergrund abheben. Die chinesischen Laternen halfen mir, das Gesicht in weichem Licht zu zeigen. Ihr Licht verschwindet schnell und beeinflusst den Hintergrund nicht.
Ich bin nicht der erste, der sie einsetzt. Die Malerei im 15. Jahrhundert setzte die Laternen häufig ein. Der Hintergrund ist auf diesem Gemälden völlig anders ausgeleuchtet als die Figur im Vordergrund. Und das ist großartig, denn der Blick wird so auf das gelenkt, was man sehen soll. Jede Figur hat ihr eigenes Licht. Genau das habe ich ihnen in vielen Filmen gegeben. Nicht notwendigerweise, denn manchmal lasse ich Figuren mit dem Hintergrund verschmelzen. Das kommt auch auf die Tagesform an – darauf, ob man gut geschlafen hat. Sie erhalten von mir vielleicht den Eindruck, dass ich die Dinge dirigiere. Aber unsere Arbeit hat viel mit Fantasie zu tun – mit Fantasie und Improvisation.

Sie haben wiederholt mit Regisseuren zusammengearbeitet, die auch Schauspieler waren. Ist die Arbeit mit ihnen besonders?

Ich habe mit Robert Redford gearbeitet, mit Denzel Washington und mit Margaret Whitton. Sie kennen sie vermutlich nicht, sie hat den Film „A bird of the air“ inszeniert. Das war’s, oder?

Tom Hanks?

Ach ja, Tom Hanks.

Stimmt etwas nicht mit Tom Hanks?

Nein, Tom Hanks ist ein reizender Mensch. Aber der Film ist nicht mein bestes Werk. Er hatte kein gutes Drehbuch. Der Dreh hat Spaß gemacht und Tom ist ein sehr angenehmer Mensch.
Nun, die Regisseure sind alle verschieden; ob sie Schauspieler sind oder nicht. Sie haben verschiedene Persönlichkeiten, unterschiedliches Wissen und unterschiedliche Interessen. Der Unterschied bei Robert Redford war, das „Aus der Mitte entspringt ein Fluss“ nicht sein erster eigener Film war. Er hebt sich aber insofern von anderen Regisseuren ab, als dass er ein hervorragender Regisseur für Schauspieler ist. Dasselbe gilt für Denzel Washington. Zu meiner großen Überraschung konnte Denzel Washington auch fantastisch mit der Kamera umgehen. Als wir das erste mal zusammenarbeiteten – es war seine erste Regiearbeit – wusste er nicht, wie ein Film aus der Sicht der Kameramänner gedreht wird. Aber er lernt sehr schnell. Bei unserer zweiten Zusammenarbeit hat er dann die gesamte Inszenierung komplett gemeistert.

Letzte Frage: Was ist die grundlegendere Fähigkeit, filmen oder fotografieren?

Ich fotografiere nicht. Ich bin nicht gut darin. Wahrscheinlich bin ich besser darin, als die meisten Menschen. Aber die Dinge müssen sich für mich bewegen. Ich habe großen Respekt für Fotografen. Aber man kann nicht gut in allem sein. Mein Traum ist es, den Nobelpreis für Physik zu gewinnen, aber das wird nicht passieren. Unglücklicherweise.

Das Interview wurde von Lars Bieker geführt.

Bild mit freundlicher Genehmigung von David Bundy