Vorstoß von OB Spies sorgt für Unmut in der Koalition

Das Bürgerbegehren um das umstrittene Marburger Mobilitätskonzept Move35 ist gescheitert. Dennoch schlägt Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) ein sogenanntes Vertreterbegehren vor. Die 7000 Unterschriften aus der Stadtgesellschaft könnten nicht unbeantwortet bleiben, erklärte Spies. Nun soll dem Ältestenrat noch bis zum Jahresende ein rechtssicherer Vorschlag vorgelegt werden, über den sich die Fraktionen einigen müssen. Die Abstimmung über das Mobilitätskonzept könnte dann gemeinsam mit der Europawahl im Juni 2024 stattfinden.

Innerhalb der Koalition aus SPD, Grünen und Klimaliste hat der Vorstoß von Spies allerdings für Verwerfungen gesorgt. Er war nämlich nicht mit den davon überraschten Bündnispartnern abgesprochen. „Das war ein Alleingang des Oberbürgermeisters“, sagt eine Stadtverordnete. „Da ist Vertrauen verloren gegangen“, formuliert Grünen-Sprecher Maximilian Walz: „Für uns ist noch nicht klar, wie das wieder aufgebaut werden kann.“

Zuvor hatte die Marburger Stadtverordnetenversammlung das von der Opposition aus CDU, FDP und „Bürgern für Marburg“ vorangetriebene Bürgerbegehren aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Nach der Analyse des städtischen Rechtsamtes, das sich auf die Prüfung des Verwaltungsrechtlers Prof. Martin Will stützt, waren den Initiatoren bei der Abfassung des Begehrens gleich mehrere Fehler unterlaufen. Unter anderem war inhaltlich nicht wirklich klar, wofür oder wogegen die Bürger eigentlich stimmen sollten. Zudem fehlte ein Kostendeckungsvorschlag, aus dem hervorgeht, was gekürzt oder eingenommen werden soll, um die Kosten für die Neukonzeptionierung und die geforderten mehr als 300 Bürgerversammlungen zu finanzieren. Damit ist das Bürgerbegehren – so die Stadtverwaltung – rechtswidrig.

Die Stadtverordnetenversammlung lehnte das Begehren daher mit den Stimmen der Koalition ab. Gegen den Beschluss können die Initiatoren vor dem Verwaltungsgericht klagen. Ob sie damit Erfolg haben, ist allerdings fraglich. Selbst der Rechts-Experte vom Fachverband „Mehr Demokratie“, der Bürgerinitiativen beim Abfassen ihrer Begehren berät, kam zu dem Ergebnis, dass das Marburger Begehren „definitiv ungültig“ sei. Die Konservativen gehen jetzt auf eine andere Weise vor. Sie wollen eine einstweilige Verfügung erwirken, weil das Gutachten von Prof. Martin Will dem Stadtparlament bei der Entscheidung nicht vorlag.

Am Bahnhof sind vor allem Radfahrer, Fußgänger und Busse unterwegs. Ihr Anteil soll nach dem Mobilitätskonzept Move 35 erhöht werden.

Geht es nach Oberbürgermeister Thomas Spies, werden die Marburger aber ohnehin über das Mobilitätskonzept abstimmen können. „Offenkundig haben wir nicht gut genug kommuniziert“, räumte er ein. Nur, weil das Bürgerbegehren rechtlich unzulässig sei, werde die öffentliche Debatte um die Zukunft der Mobilität nicht beendet. Er habe zunächst geglaubt, dass es reiche, den Dialog vor allem anhand der konkreten Maßnahmen zu führen. Nun soll ein sogenanntes Vertreterbegehren vorgelegt werden. Damit will Spies „den Zusammenhalt und den Frieden in der Stadt sichern“.

Ob das funktioniert, ist allerdings völlig offen. Um das Vertreterbegehren durchzusetzen, ist eine Zweidrittel-Mehrheit nötig, sagt Andrea Suntheim-Pichler von den „Bürgern für Marburg“. Daher müsse Spies die Klima-Regierung hinter seinem Vorschlag geeinigt bekommen. Wie Grünen-Sprecher Maximilian Walz erläuterte, hatten sich die Grünen bislang gegen ein Vertreterbegehren ausgesprochen, weil ein simples Ja oder Nein der Komplexität der Frage nicht gerecht werde. Schließlich handele es sich bei Move 35 um ein Rahmenkonzept. Die strittigen Einzelmaßnahmen seien noch nicht konkret ausgearbeitet und sollten erst mit neuer Bürgerbeteiligung diskutiert und beschlossen werden. Jetzt komme es darauf an, welchen Vorschlag die SPD unterbreite. „Wie lautet die konkrete Fragestellung?“, so Walz.

Unterdessen freuen sich die Konservativen über den Vorstoß von Spies: „Wir sind sehr glücklich darüber. Das war ja immer unser Anliegen“, sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Jens Seipp.

Gesa Coordes

Beitrag zur Klimaneutralität

Gesamtziel des Mobilitätskonzeptes Move35 ist es, den Anteil derjenigen zu erhöhen, die zu Fuß, mit dem Rad oder mit dem Bus in Marburg unterwegs sind. Zugleich soll die Lebensqualität in der Stadt erhöht werden. Dafür sind breitere Fußwege, mehr Bäume, Entlastung für viel befahrene Straßen, mehr Busse in die Außenstadtteile und eine Trennung von Auto- und Radverkehr geplant. Allerdings soll es auch weniger Parkplätze geben – sie sollen in Zukunft vor allem in den Parkhäusern angeboten werden. Zudem soll es veränderte Verkehrsführungen im Südviertel geben. So soll das Schulviertel zu Unterrichtsbeginn und zu Unterrichtsende für Autos gesperrt werden, damit Schüler nicht durch Elterntaxis gefährdet werden.
Insgesamt soll die Strategie dazu beitragen, Marburg bis 2030 klimaneutral zu machen. Der Autoverkehr soll damit „möglichst halbiert“ werden. Dem Mobilitätskonzept ging eine aufwändige Bürgerbeteiligung voraus, die auch von unabhängigen wissenschaftlichen Experten als sehr umfassend und vielfältig eingeschätzt wurde.

gec

Bild mit freundlicher Genehmigung von Gesa Coordes