Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf unsere Gesundheit? Diese Frage ergründen Medizinstudierende aus Gießen und Marburg. Für ihr Engagement gab’s kürzlich den Hessischen Hochschulpreis.

Sie haben sich das Fach, das ihnen persönlich am wichtigsten ist, selbst in den Lehrplan geschrieben: „Die Klimakrise ist die größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit“, sagen die Medizinstudierenden aus Marburg und Gießen, die sich jeden Montagabend im zweiten Stock des Medizinischen Lehrzentrums in Gießen treffen. Doch im Medizinstudium werde bislang kaum auf die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf den Körper eingegangen. „Das Thema wird unterschätzt“, sagt Medizinstudentin Carina Körner. Selbst der Gießener Lehrstuhl für Umweltmedizin sei schon lange unbesetzt, kritisiert ihr Kommilitone Leonhard Maier. Deshalb wurden sie nun selbst aktiv.

Während der Pandemie entwickelten sie gemeinsam mit Kommilitonen aus Marburg das Konzept der „Klimasprechstunde“. Dabei handelt es sich nicht um eine Beratung für Patienten, sondern um ein Wahlfach für Studierende. Seit Wintersemester 2020 treffen sie sich – selbst organisiert und ehrenamtlich gemanagt – jedes Semester zu Abendveranstaltungen und einem Blockseminar, um fit für das Thema zu werden. Das hessische Wissenschaftsministerium hat das mit dem hessischen Hochschulpreis für hervorragende Lehr- und Lernkonzepte ausgezeichnet. 10.000 Euro können sie nun in die Weiterentwicklung des klinischen Wahlfachs „Klimasprechstunde“ stecken.

An diesem Montagabend steht der Tropenmediziner Prof. August Stich von der Universität Würzburg auf dem Programm. Digital zugeschaltet schildert er, wie sich das West-Nil-Fieber mit dem Klimawandel bis nach Deutschland ausbreitet. Auch die asiatische Tigermücke, die etwa das Dengue-Fieber überträgt, sei bereits in Deutschland angekommen. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die Krankheitsbilder in den nächsten Jahren verändern werden“, sagt Stich. Allergien und kardio-vaskuläre Erkrankungen würden zunehmen. Weil die Feinstaubbelastung in den Städten des globalen Südens steigt, werde es mehr Tuberkulose-Fälle geben. Und vor dem Hanta-Virus werde bereits vor den Toren Würzburgs gewarnt.

Moderiert wird die Veranstaltung von den Studentinnen Carina Körner und Lisa Nieberle, die den renommierten Mediziner für den Abend gewonnen haben. Sie gehören – ebenso wie die anderen Aktiven – zur Health-for-Future-Bewegung. Jedes Semester organisieren sie neun Abendveranstaltungen und ein Blockseminar. Mit dabei sind die Medizinstudierenden aus der Nachbaruniversität Marburg, wo es zudem die Ringvorlesung zu „Klimakrise und Gesundheit“ gibt. Dazu machen sie Gruppenarbeit, Übungen und Aufgaben.

„Das betrifft uns als angehende Ärzte. Das betrifft unsere zukünftigen Patienten“, sagt Hanna Fülbert. Und das in vielen Bereichen. In der Kinderheilkunde müsse man viel mehr auf Sonnenschutz, Allergien, Ernährung und Bewegung achten. Hitzestress könne Frühgeburten auslösen. Borreliose- und FSME-Fälle würden steigen. Auch in der Psychiatrie sei der Klimawandel – mit zunehmenden Angststörungen, Depressionen und Traumata – ein Thema.

Klimasprechstunde an der Uni Gießen: Die Studentinnen Anne Maushagen, Antonia Weigel, Hanna Burow und Theresa Scheftschik beraten über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesundheit. Foto: Rolf K. Wegst

Zudem ist der Gesundheitssektor selbst weltweit für rund fünf Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich. In den Operationssälen würden sogar Scheren und Pinzetten nicht mehr – wie früher – gereinigt und wieder verwendet, sondern weggeworfen, erzählt Theresa Scheftschick, die Chirurgin werden möchte. Noch vor zehn Jahren sei die Aufbereitung gang und gäbe gewesen – jetzt fehle das Personal für diese Arbeit. Auch mit der Auswahl von Narkosemitteln, die weniger Treibhausgase ausstoßen, und der Reduzierung von Plastikverpackungen könne man den ökologischen Fußabdruck in Kliniken verbessern.

Unterstützt werden sie bei der „Klimasprechstunde“ nicht nur von Professoren und Fachleuten, die während der Veranstaltungen online oder vor Ort über Themen wie Hitzewarnsysteme, psychologische Auswirkungen, Lungengesundheit, Feinstaubbelastung, Infektionskrankheiten und verunreinigtes Wasser berichten. Auch der Gießener Professor für Global Health, Dr. Michael Knipper, und der Marburger Allgemeinmediziner Prof. Dr. Stefan Bösner unterstützen die Studierenden, deren Prüfungsleistungen sie bewerten.

Zudem sind die medizinische Psychologin Dr. Christina Schut und der Gummersbacher Allgemeinmediziner Dr. Ralph Krolewski dabei, der ein Konzept für eine Klima-Sprechstunde entwickelt hat. Das Thema: Wie können Mediziner ihre Patienten dazu bewegen, Gesundheit und Klima gleichzeitig zu schützen? Wie kann man eine Sprechstunde so gestalten, dass der Zusammenhang zur Klimafrage deutlich wird? Das wird in Kleingruppen erprobt. Zudem erkunden die Studierenden auch ihre Universitätsstadt: Wo sind die Hitzeinseln und die Frischluftkorridore? Wo kommen die Patienten mit ihren Beschwerden her?

Erste Nachahmer für das Konzept gibt es bereits: Studierende der Uni Wien wollen ein ähnliches Wahlfach einführen. Auch aus anderen Hochschulen melden sich Kommilitonen, um die Idee fortzuführen.

Langfristig möchte die Initiative erreichen, dass die Klimasprechstunde verpflichtend im Kern-Curriculum aufgenommen wird. Dann könnte es in Zukunft genug Ärztinnen und Ärzte geben, die in ihrer Praxis selbst klimasensibel beraten und wissen, wie sich die Klimakrise auf die Gesundheit auswirkt. „Der Preis hat vor allem dafür gesorgt, dass man uns mit unseren Thema mehr wahrnimmt“, freut sich Medizinstudent Leonard Maier. „Von Herzen“ gratulierte der Gießener Uni-Präsident Joybrato Mukherjee: „Das Engagement unserer Studierenden zeigt beispielhaft, worauf die Universitäten besonders viel Wert legen sollten: auf Eigenverantwortung, Leidenschaft, Neugier und den Blick über den Tellerrand.“

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Rolf K. Wegst