Eine Initiative an der Marburger Uni will die Arbeitsbedingungen für studentische Hilfskräfte verbessern.

Ein Tutorium so vorzubereiten, dass die Themen den eigenen Kommilitonen und Kommilitoninnen souverän vermittelt werden können, bedeutet für die Tutorin Jessica Finger, dass sich Überstunden ansammeln. Jessica arbeitet und studiert am Fachbereich für Germanistik und Kunstwissenschaften und berichtet: „19 Stunden im Monat werden für ein Tutorium angerechnet, aber besonders in der Anfangsphase musste ich mir super viel erarbeiten, was in der Zeit, die auf meinem Vertrag steht, nicht möglich ist. Ich musste also viele Überstunden machen und dass diese überhaupt ausbezahlt werden könnten, davon ist mir nichts bekannt.“ Jessica nahm an, dass das ihr individuelles Problem ist, dass sie schlichtweg schneller arbeiten müsste: „Am Anfang wollte ich den Job einfach gut ausfüllen, aber mit der Zeit habe ich verstanden, dass der Aufwand, den ich in den Job stecken will, grundsätzlich nicht mit den vorgeschriebenen Stunden zu schaffen ist.“ Als die 27-Jährige dann feststellte, dass auch viele andere Hilfskräfte mit ihrem Arbeitsaufkommen überfordert sind, gründete sie mit zwei Kolleginnen eine Initiative für studentische Hilfskräfte an der Marburger Uni. Ziel ist, sich für bessere Arbeitsbedingungen und einen Tarifvertrag für Hilfskräfte einsetzen.

So kritisiert die Initiative, dass es selten eine feste Anstellung für Tutorinnen wie Jessica gibt, sondern lediglich „Kettenbefristungen“. Auch wenn sie jedes Semester ein Tutorium anbietet, ist Jessica ausschließlich während der aktiven vier Monate des Semesters und nicht in der vorlesungsfreien Zeit angestellt. Nach Auslaufen jedes Vertrages muss sie hoffen, dass ihr der neue Vertrag fürs kommende Semester angeboten wird.
Fast alle studentischen Hilfskräfte seien nur für ein paar Monate, ein halbes oder ganzes Jahr angestellt, berichtet Jessica. Die Abhängigkeit, die dabei entsteht, mache es schwierig für Studierende, Probleme und arbeitsrechtliche Fragen anzusprechen. Zudem sieht sie das Konzept als problematisch an, weil Finger beispielsweise in den zwei Monaten der Semesterferien kein Einkommen hat. Wenn die Universität Nachwuchskräfte durch die Vergabe von studentischen Hilfskräftejobs fördern wolle, dann schließe sie mit den Kettenbefristungen diejenigen kategorisch aus, die auf ein regelmäßiges Gehalt angewiesen seien.

Einen weiteren strukturellen Vorteil für die Universität als Arbeitgeber sieht Jessica Finger darin, dass studentische Hilfskräfte grundsätzlich nur acht Jahre als solche arbeiten dürfen. Die meisten Studierenden verweilen kürzer in ihren Jobs, weil der Bachelor meist nur drei Jahre andauert, der Master nur zwei, weil danach oft umgezogen wird.
Es sei ein Prozess, bis man verstanden hat, „dass das nicht das eigene Problem ist, sondern dass da Strukturen existieren, die es einem schwer machen, halbwegs gute Arbeit zu leisten. Wenn der Realisierungsprozess abgeschlossen ist, dann ist man vielleicht schon wieder aus dem Arbeitsverhältnis raus“, führt Finger aus.

Kritik übt die Initiative auch an der Lohnstruktur für studentische Hilfskräfte.

Die Initiative kritisiert außerdem, dass die Hilfskräfte weder von der Universität als Arbeitgeber noch von den direkten Vorgesetzten ausreichend über ihre Rechte informiert würden: „Häufig wird nicht erklärt, was studentische Hilfskräfte für einen Anspruch auf Urlaub haben, aber auch über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, den Anspruch auf Arbeitszeugnisse, das Recht auf Einarbeitung und dass Arbeitsmittel bestellt werden sollten, sofern es nicht ausdrücklich anders im Vertrag steht, wird nicht aufgeklärt“, berichtet Finger.

Kritik übt die Hilfskräfte-Initiative auch an der Lohnstruktur. So erhalten Studierenden ohne Abschluss lediglich den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn von 12 Euro. Mit einem ersten Abschluss verdienen sie seit Anfang dieses Jahres einen Euro mehr, vorher waren es lediglich 12, 69 Euro. „Ich habe endlich einen Bachelorabschluss gemacht und arbeite trotzdem fast für den Mindestlohn“, ärgert sich Anna Diegler (27), die ebenfalls Teil des Gründungsteams der Initiative ist und als Hilfskraft für eine Professorin arbeitet. Finger fast zusammen: „Wir werden schlecht bezahlt und müssen kostenlose Überstunden machen.“

Ein weiterer Grund für die Gründung ihrer Initiative war, dass die studentischen Hilfskräfte kein Gremium hatten, in dem sie sich über diese Problematiken austauschen oder sich gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen einsetzen konnten. Von allen Personalvertretungsrechten waren studentische Beschäftigte bis jetzt ausgeschlossen. Das hat zur Konsequenz, dass sich studentische Hilfskräfte individuell für ihre Rechte einsetzen müssen, sagt Finger: „Ich als Tutorin musste damals alleine einfordern, dass mir Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden, was sehr unangenehm war.“ Der Initiative für Studentische Hilfskräfte geht es darum, zu verhindern, dass Einzelkämpfe für individuelle Verbesserungen geführt werden müssen. Sie versuchen, den strukturellen Rahmen durch eine Zusammenarbeit der Hilfskräfte zu verändern. Ein Schritt nach vorne sei die Reform des Hessischen Personalvertretungsgesetzes (HPVG), die einen Hilfskräfterat einführt, der an den Personalrat angegliedert wird und als Vertretung der studentische Hilfskräfte gewählt wird. Jedoch soll die Wahl- und Gremienordnung über die einzelnen Hochschulen geregelt werden, weswegen wichtige Punkte noch nicht geklärt wurden. Die Initiative für Studentische Hilfskräfte kritisiert: „Die Landesregierung zieht sich damit wieder aus der Verantwortung.“ Und: Das HPVG würde Studentische Hilfskräfte noch nicht als „vollwertige Beschäftigte“ anerkennen.

Studentische Beschäftigte besetzen am Wochenende und während der Nachtschichten die Universitätsbibliothek, sie arbeiten in den Fachbibliotheken, an den einzelnen Fachbereichen, geben Tutorien zum wissenschaftlichen Arbeiten, führen in Grundlagenmodule ein und vieles mehr. „Sie halten also den Laden am Laufen. Sie sind somit genauso ein Teil der Uni wie wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, nur mit Mindestlohn und ohne Interessenvertretung“, unterstreicht Florian Lzicar (22), Co-Landeskoordinator der Juso-Hochschulgruppe Hessen. Bei der öffentlichen Anhörung zum Hessischen Personalvertretungsgesetz im Innenausschuss des Landtag hat er deshalb bessere Arbeitsbedingungen und eine Interessenvertretung für Hilfskräfte gefordert.

Die Initiative für studentische Hilfskräfte fordert weiterhin einen Tarifvertrag vom Land Hessen und argumentiert auf Grundlage der Studie „Jung, akademisch, prekär?“, die von den Gewerkschaften GEW und Verdi in Auftrag gegeben wurde. 39 Prozent der studentischen Hilfskräfte machen laut der Studie Überstunden. Und bis zu 16,7 Prozent der Hilfskräfte geben danach an, dass sie bereits unbezahlt für ihren Job gearbeitet haben. Die Dauer der unbezahlten Arbeitszeit beträgt laut Studie durchschnittlich fast fünf Wochen.


Leonie Theiding

Bild mit freundlicher Genehmigung von Mareike Seitz