Die Stadt möchte der Energiekrise entgegenwirken: Mit einem Energiesparpaket soll der Verbrauch in städtischen Einrichtungen nun gesenkt werden. Die Maßnahmen im Überblick.

Rund 30 Millionen Kilowattstunden Energie verbraucht die Stadt Marburg im Jahr. Damit werden nicht nur Verwaltungsgebäude mit Strom und Wärme versorgt. Die Kilowattstunden fließen auch in Schulen, Kindertagesstätten, Bürgerhäusern und Sportstätten. Oder in die Scheinwerfer, die einige der repräsentative Bauten während der Nachtstunden anstrahlen – beispielsweise das Rathaus. Das leuchtende Herz am Spiegelslust-Turm sorgt ebenso dafür, dass sich der Stromzähler der Stadt fleißig dreht. Zuletzt heizt die Stadt auch das Wasser in den beiden Schwimmbädern der Stadt.
Ein Vergleich: Dieselbe Menge Energie verbrauchen etwa 1000 Vier-Personen-Haushalte in einem Jahr.

Zumindest mit der Gebäudeanstrahlung ist nun Schluss. Denn bis zum Frühjahr 2023 möchte die Stadt 15 Prozent ihrer Energie einsparen – das hat der Magistrat kürzlich bekanntgegeben. Um Wärme und Strom zu sparen, hat die Stadt ein ganzes Energiesparpaket auf die Beine gestellt. Auch andere energieintensive Prozesse sollen auf kurz oder lang reduziert werden. Die Maßnahmen reichen von Energiespar-Tipps à la “Computer und Bildschirm ausschalten statt auf stand-by” über ein Wirksamkeits-Monitoring bishin zum Ausbau von Photovoltaik-Anlagen.
Der Grund: Die Stadt möchte der aktuellen Energieknappheit entgegenwirken. „Wir sind durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine mit einer ernsten Energieversorgungskrise konfrontiert,” erklärt Oberbürgermeister Thomas Spies. Da helfe jeder Schritt, mit dem weniger Energie verbraucht werde. „Wir werden alle Verbräuche senken, spürbar Energie einsparen und so unseren Teil dazu beitragen, um dass es im Winter nicht zu einem akuten Gasmangel kommt,“ ist sich Spies sicher.

Ausgearbeitet hat das Energiesparpaket die Stadtverwaltung in Zusammenarbeit mit der kürzlich gegründeten “Krisenstab Energieversorgung.” Das 15-Prozent-Ziel orientiere sich dabei an den Vorgaben, die von der EU über Bund und Land ausgegeben wurden, heißt es vonseiten der Stadt. Ende Juli hatte die Europäische Union den sogenannten Gas-Notfallplan bekannt gegeben. Die Verordnung soll die europäischen Mitgliedsstaaten dazu anhalten, ihren Gasverbrauch um 15 Prozent zu senken – verglichen mit den durchschnittlichen Verbrauch der letzten fünf Jahre.
Die Marburger Stadtverwaltung reagiert darauf mit einem dreistufigen Plan: Die ersten, kurzfristigen Maßnahmen sollen bereits bis Ende der Sommerferien umgesetzt werden. Im nächsten Schritt soll die Stadt auf die Heizperiode vorbereitet werden. Langfristig sollen Gebäude und Anlagen für eine “nachhaltige Energieeffizienz” sorgen – dies betrifft etwa neue Photovoltaikanlagen oder neuere Heizungssysteme.
Hier die einzelnen Maßnahmen:

Kurzfristige Maßnahmen:

Bäder: Das Sport- und Freizeitbad AquaMar mit Sauna und das Hallenbad Wehrda verbrauchen zusammen rund zehn Prozent der Gesamtenergie und 25 Prozent des Strombedarfs aller städtischen Liegenschaften. Das Wasser im Freibad wird mit Sonnenenergie (Solarthermie) beheizt. Die Hallenbäder beziehen ihre Wärme aus Heizkraftwerken der Stadtwerke Marburg. Der größte Energieverbrauch in Schwimmbädern entsteht durch den Betrieb der technischen Anlagen (Pumpen, Lüftungsanlagen, Beckenwassererwärmung, etc.)

In beiden Bädern finden neben dem Freizeit- und Trainingsbetrieb auch Reha- und Seniorenschwimmen, Schwimmunterricht für Kinder und Schüler*innen sowie Babyschwimmen statt.

Am Montag hat das AquaMar den Saunabetrieb bereits eingestellt. Gleichzeitig ist die Wassertemperatur in beiden Bädern für den Freizeit- und Trainingsbetrieb um 2 Grad auf 26 Grad gesenkt. Im AquaMar bleiben das Aktions-, Lehr- und Kinderplanschbecken bei 30 bis 31 Grad.

Warmwasserversorgung in Verwaltungsgebäuden, Sporthallen, Bürgerhäusern: In den genannten städtischen Gebäuden werden die Warmwasseraufbereitung abgestellt und verzichtbare Elektroboiler ausgeschaltet. Gleichzeitig mit dem Verzicht auf warmes Wasser aus der Leitung muss die Wasserqualität in den Gebäuden engmaschiger als bisher kontrolliert werden. Die Ausnahme sind Schulen- und Kitagebäude mit ihren Küchen und Cafeterien. Dort ist warmes Leitungswasser aus Hygienegründen unverzichtbar.

Lüftungsanlagen: Die Lüftungsanlagen werden in allen Räumen abgeschaltet, die auch mit Blick auf den Infektionsschutz noch problemlos ausreichend durch Fenster gelüftet werden können – zumindest bis zum Beginn der Heizperiode. Außerdem: Die neu eingebauten Lüftungsanlagen verfügen über eine gute Wärmerückgewinnung – und sind damit auch in der Heizperiode energieeffizient.

Heizungsanlagen: Heizungsanlagen werden kurzfristig bis zu Beginn der Heizperiode komplett abgeschaltet. Der Standby-Betrieb wird vermieden.  

Repräsentative Beleuchtung: Die Stadt strahlt nur wenige Gebäude in Marburg an oder beleuchtet sie aus Repräsentationszwecken, wenn es dunkel wird. Das sind zum Beispiel das Rathaus und Erwin-Piscator-Haus, der Kaiser-Wilhelm-Turm mit dem Lichtkunstherz, das Theater neben dem Schwanhof oder das Theater neben dem Turm. Diese Beleuchtung wird ebenfalls kurzfristig abgestellt. Gleichzeitig appelliert die Stadt an andere Institutionen in Marburg, mitzumachen und ebenfalls die Lichter überall dort auszuschalten, wo sie nicht aus Sicherheitsgründen brennen müssen.

Verwaltungsbetrieb: Licht aus beim Verlassen des Raums, Computer und Bildschirm ausschalten statt auf stand-by: „Das Ändern von Gewohnheiten ist eines der wirksamsten Instrumente zum Energiesparen im Alltag, ob privat oder bei der Arbeit“, sagt OB Spies, „konsequent angewendet, kommen hier viele eingesparte Kilowattstunden zusammen“. Energiesparlots*innen gibt es bereits seit Jahren in jedem Fachdienst der Stadtverwaltung. „Zugegebenermaßen – die Konzentration auf das Thema war gerade in den herausfordernden Coronajahren nicht jederzeit und überall die erste Priorität“, berichtet der OB. Nun sind die Lot*sinnen als Multiplikator*innen und Motivator*innen wieder aufgerufen, gemeinsam mit den Kolleg*innen im jeweiligen Arbeitsumfeld alle Möglichkeiten des Energiesparens zu prüfen und zu nutzen. Außerdem werden alle elektronischen Geräte wie Kühlschränke, Boiler etc. in den Verwaltungseinheiten erfasst, auf Energieeffizienz und   Notwendigkeit überprüft.

Maßnahmen bis zum Start Heizperiode

Raumtemperatur: Die Absenkung der Raumtemperatur in den städtischen Liegenschaften wie Verwaltungsgebäuden, Sporthallen und Bürgerhäusern auf 20 Grad wird in Abstimmung mit dem Arbeits- und Gesundheitsschutz geprüft. Ausnahmen sind – wie beim Warmwasser – Schulen und Kindergärten.

Straßenbeleuchtung: Insgesamt 8944 Leuchten sind entlang der Marburger Straßen, Wege und Plätze installiert. Davon sind bereits 4728 Leuchten auf LED umgerüstet, vor allem in den Außenstadtteilen. Die verbliebenen Leuchten haben Natriumdampf-Hochdrucklampen (NAV). Anders als in anderen Städten gibt es in Marburg keine Gaslampen mehr. Die LED-Leuchten in den Außenstadtteilen sind ohnehin nachts gedimmt. In der Innenstadt ist bereits jede zweite Lampe in den Nachtstunden ausgeschaltet. In Abstimmung mit dem Hessischen Städtetag prüft die Stadt Marburg, ob die Betriebszeiten der Straßenbeleuchtung und Ampelanlagen in den Nachtstunden weiter reduziert werden sollen – in Abwägung von Sicherheitsgefühl und Energieeffizienz.

Öffentlichkeits-Kampagne: Die meiste Energie wird für Wärme und Strom verbraucht. Die Stadt wird mit den Stadtwerken Marburg zum Beginn der Heizperiode eine neue Kampagne zu Aufklärung, Information und Motivation zum Energiesparen und zur Akzeptanz der getroffenen Maßnahmen auflegen. Dabei geht es auch um Hilfen und Tipps, wie mit einfachen Mitteln die private Energiebilanz verbessert werden kann. 

Monitoring: Der Einspareffekt und die Wirksamkeit der Maßnahmen werden durch eine regelmäßige Kontrolle der Energieverbräuche überwacht. Das geschieht pro Monat im Jahresvergleich. Die Auswertung ist auch witterungsunabhängig möglich, so dass der aktuelle Einspareffekt tatsächlich abgelesen werden kann. 

Langfristige Maßnahmen

Beleuchtung: Die noch fehlende Beleuchtung im Innen- und Außenbereich (Gebäude, Straßen) wird vollständig auf LED nachgerüstet und umgestellt.

Lüftungsanlagen: Ältere Anlagen werden gegen energieeffiziente Anlagen ausgetauscht.

Wärme: Bei allen Neubauten und Sanierungen städtischer Gebäude werden bereits seit Jahren energieeffiziente Heizungssysteme eingebaut. Langfristig werden alle Anlagen in allen Liegenschaften auf energieeffiziente Systeme umgerüstet.

Energieerzeugung – Selbstversorgung durch Photovoltaik:  Derzeit sind auf den Dächern der stadteigenen Gebäude (inkl. Schulen, Kindergärten etc.) insgesamt 72 PV-Anlagen installiert (Gesamtleistung 1761 kWp). Zusätzlich will die Stadt innerhalb der nächsten fünf Jahre ihre restlichen PV-geeigneten Dachflächen komplett mit PV-Anlagen ausstatten. Damit kann der gesamte Strombedarf der Stadtverwaltung bilanziell zu 100 Prozent gedeckt werden. Rund 160 städtische Liegenschaften haben Dächer, die gut oder sehr gut geeignet für PV-Anlagen sind.

Bei allen städtischen Neubauten, die sich in Planung und Bau befinden, werden die Dachflächen mit den jeweils größtmöglichen PV-Anlagen ausgestattet. Durch fünf neue Bauvorhaben können so bis 2024 rund 318 kWp zusätzlich erzeugt werden. Zusätzlich betreibt die Stadtverwaltung 17 thermische Solaranlagen, deren erzeugte Wärmemenge allerdings nicht gemessen wird.

pe/LB


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