Ärztin Kristina Hänel hat jahrelang für einen offenen Umgang mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch gekämpft. Am 15. März ist sie bei einer Gesprächsrunde zu Gast in Marburg. Im Vorfeld hat sie dem Express ein Interview zum Thema gegeben.

Wenige sprechen darüber, aber durchschnittlich bricht jede vierte Frau einmal im Leben eine Schwangerschaft ab. Kristina Hänel (66) ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und feministische Aktivistin, die sich für die Aufklärung über und Entstigmatisierung von Schwangerschaftsabbrüchen einsetzt. Am 15. März ist die Gießener Ärztin, die lange für die Abschaffung des Paragrafen 219a kämpfte, zu Gast im Marburger Rathaus und Teil einer Gesprächsrunde zum Thema Abreibung.

Express: Wann haben Sie angefangen, Schwangerschaftsabbrüche anzubieten und warum?

Hänel: Wir haben in den 80er-Jahren trotz viel politischem Widerstand ein Zentrum von profamilia in Gießen errichtet, in dem wir Abbrüche und Beratungen durchführen wollten. Durch die Angriffe der Abtreibungsgegner sind alle Ärzte abgesprungen, die dort mitmachen wollten. Dann habe ich mir gesagt, dass ich das eben lernen muss: Von den holländischen Ärzten, die damals in den meisten profamilia Zentren gearbeitet haben, habe ich mir dann beibringen lassen, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen.

Das ist aber ungewöhnlich als Allgemeinmedizinerin, dass Sie Schwangerschaftsabbrüche anbieten, oder? 

Die holländischen Ärzte waren fast alles Allgemeinärzte – und das waren auch die Ersten, die das damals gemacht haben. Für sie war das ganz natürlich: Sie haben gesagt, dass sie sowieso zuerst mitbekommen, was aus den Familien wird, wenn die Frauen sterben, die illegale Schwangerschaftsabbrüche durchführen mussten. Die Frauenärzte bekommen oft nicht mit, was das nachher im Leben bedeutet. Es waren also ursprünglich die Hausärzte, die sich für sichere Abtreibungen eingesetzt haben, das wird oft vergessen.

Was bedeutet die Abschaffung des Paragrafen 219a StGB für die Gesellschaft und insbesondere die Frauen in Deutschland?

Diese Absurdität, dass Fachleute nicht informieren dürfen und damit Frauen den Fehlinformationen im Netz ausgeliefert worden sind, die ist nun weg. Die Abtreibungsgegner hatten im Netz lange die Informationshoheit, haben Fehlinformationen, Diskriminierung und Entwürdigung verbreitet, weil die anderen, professionellen Seiten verboten gewesen sind – das hat die Situation für Frauen schwieriger gemacht. Meine Informationen sind natürlich wieder im Netz, aber es dauert noch, bis alle Schäden behoben sind, bis die Ärzte ihre Homepages aktualisieren.

Hat das vielleicht auch damit zu tun, dass Abtreibung trotz allem noch ein Tabu-Thema ist? 

Das definitiv: Jeder Mensch weiß, dass es Abbrüche gibt, aber niemand will darüber sprechen. Die Gesellschaft duldet, aber ächtet Abbrüche. Aber vor allem scheuen sich die Ärzte noch über Abbrüche zu informieren, weil sie Angst haben, angegriffen zu werden. Denn sie werden massiv von den Abtreibungsgegnern diffamiert und belästigt, wenn sie öffentlich über Abbrüche informieren. Die Bedingungen unter denen Frauen Schwangerschaftsabbrüche durchführen lassen müssen, sind daher weiterhin schwierig in Deutschland.

Wieso, wenn Sie doch Ihr Ziel erreicht haben, der Paragraf 219a abgeschafft wurde?

Weil der Paragraf 218 immer noch existiert, der Schwangerschaftsabbrüche als strafbar definiert, was bedeutet, dass die Abbrüche grundsätzlich rechtswidrig sind. In Ausnahmefällen werden Abbrüche nicht bestraft, wenn die Beratungspflicht und -zeit eingehalten wird. Das sorgt dafür, dass der Abbruch nicht als Kassenleistung und daraus folgend nicht als medizinisch notwendige Versorgung anerkannt wird. Zudem fördert die Illegalisierung die Stigmatisierung, wodurch dann einige Ärzte vom Durchführen der Abbrüche zurückschrecken.

Am 15. März werden Sie an einer Gesprächsrunde in Marburg teilnehmen, die sich mit dem Buch der Autorin Jeanne Diesteldorf beschäftigen wird. Was erhoffen Sie sich durch die Gesprächsrunde?

Ich bin froh, wenn es Veranstaltungen zu diesem Thema gibt, weil ich dann von meinen Erfahrungen berichten kann, wie die aktuelle Realität für die Betroffenen aussieht. Das sehe ich als meine Aufgabe an. Meine Rolle als Ärztin ist auch die einer Aktivistin, was sich in solchen Situationen zeigt: Wenn ich als Ärztin an Missstände gerate, täglich während meiner Arbeit sehe, wie schlecht die Situation ist, dann halte ich es für meine gesellschaftliche Pflicht, darüber zu informieren.

Interview: Leonie Theiding

Lesung und Gespräch am 15. März ab 19 Uhr:

Vor der Gesprächsrunde am Mittwoch liest Jeanne Diesteldorf aus ihrem Buch „(K)eine Mutter – Abtreibung. Zwölf Frauen erzählen ihre Geschichte“ vor.
Neben Autorin Diesteldorf nehmen an der Gesprächsrunde Kristina Hänel, Inga Fielenbach (Leitung der Beratungsstelle profamilia in Marburg), Dörte Frank-Bögner (ehemalige Vorsitzende des Bundesvereins profamilia) und Siegmund Köhler (Leitender Arzt der Geburtshilfe am Universitätsklinikum in Marburg) teil. Laura Griese vom städtischen Referat für Gleichberechtigung, Vielfalt und Antidiskriminierung moderiert die Gesprächsrunde im Historischen Rathaussaal im Rathaus.

Bild mit freundlicher Genehmigung von Stephan Röhl, CC BY SA 4.0