Am Donnerstag ist es soweit: Die Uni Marburg ehrt die beiden Biontech-Gründer Uğur Şahin und Özlem Türeci für ihren Corona-Impfstoff.

Es ist auch eine Ehre für die Marburger Philipps-Universität: Am 12. Mai verleiht der Fachbereich Medizin dem Ärzte-Ehepaar Özlem Türeci und Uğur Şahin die Ehrendoktorwürde. Bislang haben die Gründer der Biotechnologie-Firma Biontech diese Auszeichnung nur von der Universität Köln angenommen. Dort ist Ugur Sahin aufgewachsen, wo er als erstes türkischstämmiges Gastarbeiterkind seiner Schule Abitur machte und studierte. Mit dem ersten weltweit zugelassenen Corona-Impfstoff hat das Paar Wissenschaftsgeschichte geschrieben. „In Lichtgeschwindigkeit haben Türeci und Şahin und ihr Team gezeigt, dass es möglich ist, robuste Immunantworten gegen das Corona-Virus durch die von ihnen entwickelte mRNA-Technologie aufzubauen“, sagt die Dekanin dese Fachbereichs Medizin, Denise Hilfiker-Kleiner. Seit Anfang 2021 steht die größte Produktionsstätte von Biontech in Marburg. 

Die Idee für die Ehrendoktorwürde stammt von Krebsmediziner Andreas Neubauer und dem Marburger Experten für seltene Erkrankungen, Jürgen Schäfer, die mit Özlem Türeci und Uğur Şahin beruflich zu tun hatten. Der Fachbereich Medizin stimmte begeistert zu. Weil sich das Paar gewünscht hatte, die Ehrung mit einem kleinen wissenschaftlichen Symposium zu verbinden, wird es eine sogenannte Poster Session geben, bei der junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Forschungsthemen vorstellen. Die Laudatio hält der Leiter des Marburger Instituts für Virologie, Stephan Becker, der gemeinsam mit Sahin an einem Projekt zur Entwicklung von Impfstoffen gegen hochgefährliche Viren wie Ebola und Marburg arbeitet. 

Ursprünglich kommen Özlem Türeci und Uğur Şahin aus der Krebsforschung. Bereits vor mehr als 20 Jahren starteten sie als kleines Onkologie-Team. Ihr Leben dreht sich fast ausschließlich um die Forschung. Sie haben weder Auto noch Fernseher, trinken keinen Alkohol und leben bis heute in einer Dreizimmerwohnung in Mainz. Sie entwickelten Krebsimpfstoffe, die dem Immunsystem die Antigene seines eigenen Tumors präsentieren, um ihn zu zerstören. Dabei haben sie durch jahrelange Grundlagenforschung eine revolutionäre Biotechnologie entwickelt, die auf  Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) basiert. 

Nach einem Sieg beim ersten großen Go.Bio-Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums gründeten sie 2008 die Firma Biontech in Mainz. Das Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, die Kraft des Immunsystems zu nutzen, um neue Therapien gegen Krebs und Infektionskrankheiten zu entwickeln. Die Impfung gegen Covid-19 ist das erste kommerziell zugelassene Produkt des Unternehmens. 

In Marburg wird sich das Paar auch ins Goldene Buch der Stadt eintragen. Schließlich hat Biontech mit seiner Impfstoffproduktion der Universitätsstadt international Beachtung eingebracht, freut sich Oberbürgermeister Thomas Spies. So schaffte es Marburg dadurch auf die Titelseiten von „Le Monde“ und der englischen „Financial Times“. 

Biontech hatte sich entschieden, Marburg zum Standort für die Produktion machen, weil sie mit dem Werk des Schweizer Pharmariesen Novartis vorhandene Infrastruktur und das Fachwissen vor Ort übernehmen konnten. Mehr als 500 Menschen arbeiten hier an Impfstoffen für die ganze Welt. Damit setzten sie die lange Tradition bahnbrechender medizinischer Innovationen in Marburg fort, die mit Emil von Behring, seinem Impfstoff gegen die Diphterie und den Behringwerken begann, sagt Spies: „Das ist ein großer Vertrauensbeweis für den Standort Marburg und die Menschen, die dort arbeiten.“ Allein 2021 wurden 1,2 Milliarden Impfdosen in Marburg produziert. Geplant sind nun noch Produktionscontainer, mit denen Impfstoffe in afrikanischen Ländern hergestellt werden sollen. 

Neuer Reichtum und Krise

Die Marburger Produktionsstätte hat der Stadt neuen Reichtum beschert. Die Gewerbesteuereinnahmen stiegen 2021 auf die Rekordsumme von 485 Millionen Euro – das ist das zweithöchste Gewerbesteueraufkommen in Hessen. Nur die die ungleich größere Metropole Frankfurt hatte höhere Einnahmen als die 76000-Einwohner-Stadt Marburg. 2020 lagen die Marburger Gewerbesteuer-Einnahmen noch bei 103 Millionen Euro. Allerdings muss die Stadt den größten Teil seiner Erträge an Land und Kreis abgeben. 

Paradox: Der neue Reichtum trieb die Stadt zugleich in eine politische Krise. Kurz vor Weihnachten – der Koalitionsvertrag von Grünen, SPD, Linken und Klimaliste war gerade erst unterzeichnet – zerbrach das Bündnis am Streit um die Gewerbesteuer. Die Linken traten aus, weil sie eine Senkung des Gewerbesteuerhebesatzes von 400 auf 357 Punkte nicht mittragen wollten. Die Senkung ging auf ein Ansinnen des Impfstoffherstellers zurück. In Marburg wird seitdem mit den verbliebenen Koalitionären regiert.

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von BioNTech SE