Schlafstörungen, Depressionen, Stressanfälligkeit – häufig leiden Menschen gleichzeitig unter verschiedenen psychischen Erkrankungen. Die klassische Psychotherapie stößt da an ihre Grenzen. Die Vitos Klinik und die Uni wollen das mit einem neuen Behandlungskonzept ändern.

An der Marburger Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie wird zusammen mit der Philipps-Universität ein neues Therapiekonzept erprobt. Entwickelt wurde das Modell federführend von der Psychotherapeutin Dr. Sara Franz und dem Ärztlichen Direktor von Vitos Gießen-Marburg, Prof. Michael Franz.
„Damit überwinden wir typische Beschränkungen bestehender Psychotherapie-Ansätze, um zum Wohle der Patientinnen und Patienten das Beste aus den verschiedenen Psychotherapie-Methoden zu integrieren“, erklärt der Leiter des Instituts für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Marburg, Prof. Winfried Rief.

Was ist neu am Modell der „kompetenzorientierten Psychotherapie“? Derzeit versucht die Psychiatrie, ihre Patientinnen und Patienten möglichst störungsspezifisch zu behandeln, also depressive Menschen mit Verfahren, die genau auf diese Erkrankungen zugeschnitten sind. In der Praxis stößt dieses Konzept jedoch an Grenzen, erläutert Prof. Franz. Angesichts von mehr als 100 verschiedenen Krankheitsbildern und noch mehr anerkannten Therapiemanualen könnten Kliniken dies nicht vollständig anbieten. Zudem gibt es zahlreiche Patienten, die unter mehr als einer Störung leiden.

Die kompetenzorientierte Psychotherapie will hier den Fokus neu setzen. „Wir konzentrieren uns auf die Förderung von Fähigkeiten, die für die einzelnen Patientinnen und Patienten wichtig sind – und zwar unabhängig von ihrer Diagnose“, sagt Dr. Sara Franz. So leiden viele Patienten zum Beispiel unter Schlafstörungen oder haben Schwierigkeiten, Stress auszuhalten. Die Klinik will nun Kompetenzen zum Umgang mit belastenden Situationen, zum Gestalten von Beziehungen oder zum Finden eines geregelten Schlafhythmus‘ fördern. So wird beispielsweise genau analysiert, weshalb jemand unter Schlaflosigkeit leidet und woher das Problem kommt. Dabei lässt sich das Team auch Fotos vom Schlafplatz der Patienten zeigen und genau erklären lassen wie das Zubettgehen gestaltet wird, berichtet Sara Franz: „Psychoedukativ können Patienten sich per Video über Schlafhygiene informieren, mithilfe von Selbstbeobachtung den eigenen Schlaf protokollieren und gemeinsam mit ihrem Therapeuten individuelle Strategien überlegen, um sie dann im Selbstmanagement umzusetzen und so den Schlaf langfristig zu verbessern.“ Zum Training dieser Kompetenzen werden anerkannte Psychotherapieverfahren eingesetzt und neu kombiniert.

Erprobt wird das Konzept in der Marburg Tagesklinik, die 22 Therapieplätze für Menschen mit allen Formen psychischer Erkrankungen bietet. Dort wird individuell geprüft, was die Patientinnen und Patienten gerade brauchen, wobei die Therapiebausteine im Laufe der Behandlung immer wieder angepasst werden. „Wir können damit viel stärker als bisher auf individuelle Bedürfnisse eingehen“, sagt Prof. Franz.
Dabei kooperiert die Klinik intensiv mit dem Marburger Uni-Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie, laut Franz eins „absolutes Novum“. Das renommierte Ausbildungsinstitut für angehende Psychotherapeuten war an der konzeptionellen Realisierung beteiligt war und unterstützt die Klinik mit fachlicher Beratung und Supervisionen. Zudem profitieren die Studierenden von praktischen Einsätzen in der Einrichtung. „Wir betreten jetzt Neuland, weil wir unser eigenes Konzept in Marburg erstmals erproben“, so Prof. Franz. Die Behandlungserfolge werden im weiteren Verlauf systematisch evaluiert.

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Vitos