Vorstoß für den Rückkauf des privatisierten Großkrankenhauses: OB Spies bietet dem Land bis zu 100 Millionen Euro aus der Stadtkasse.

Der Streit um das privatisierte Universitätsklinikum Gießen und Marburg geht in eine neue Runde. Während die Verhandlungen seit Monaten stocken, hat der Marburger Oberbürgermeister Thomas Spies – selbst Arzt – einen millionenschweren Vorschlag unterbreitet. Die Universitätsstadt Marburg könne bis zu 100 Millionen Euro für den Rückkauf des Universitätsklinikums Marburg anbieten. Die Landesregierung weist den Vorstoß allerdings zurück: „Es gibt kein Angebot von Rhön zum Verkauf des UKGM zum Marktwert an das Land“, sagt Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne).

Dagegen fordert Marburgs Oberbürgermeister Thomas Spies (SPD) die Landesregierung dazu auf, „endlich in ernsthafte Gespräche über einen Rückkauf des Universitätsklinikums einzutreten“: „Wir hoffen, dazu den entscheidenden Anstoß zu geben“, so Spies.

Für den Rückkauf soll ein Teil des Geldes genutzt werden, dass die Stadt dank hervorragender Gewerbesteuereinnahmen zusätzlich eingenommen hat. Dabei geht Spies von einer Größenordnung zwischen 75 und 100 Millionen Euro aus dem Stadtsäckel für ein Universitätsklinikum in Landeseigentum aus. Genügend Geld für einen Rückkauf ist nach der Rechnung der Stadt beim Land vorhanden. Aus dem Kaufpreis müsse es noch 110 Millionen Euro geben. Zudem zahle Marburg voraussichtlich mehr als 300 Millionen Euro an Umlagen an das Land: „Allein in 2023 werden wir fast 100 Millionen Euro an Sonderabgaben auf die hohen Erträge an das Land überweisen. Geld ist also auch in Wiesbaden zusätzlich vorhanden“, so Spies. Insgesamt seien dies knapp 500 Millionen Euro, was zugleich eine realistische Größenordnung für den Kaufpreis sei. Hier könne das Marburger Geld jetzt den Ausschlag geben: „Mangelnde Finanzen dürften kein Argument mehr gegen den Rückkauf sein“, sagt der Oberbürgermeister.

Opposition hält Spies-Vorschlag für “unseriös”

Ganz anders sieht das die Opposition aus CDU, FDP und den „Bürgern für Marburg“ im Rathaus: „Der städtische Haushalt hat trotz der Rekord-Einnahmesituation derzeit überhaupt nicht die Kraft, eine solche Investition zu stemmen, geschweige denn wirtschaftliche Defizite dauerhaft zu tragen, die sich aus dem Betrieb des Klinikums ergeben können“, sagt der finanzpolitische Sprecher der Fraktion, Roger Pfalz. Zudem sei der Vorschlag des Oberbürgermeisters „unseriös“, weil ein Verkauf durch die Eigentümerin derzeit weder anstehe noch geplant sei.

Die Grünen im Kreis Marburg-Biedenkopf zeigten sich zwar erfreut über die Vorschläge des Oberbürgermeisters, monieren aber, dass sie nicht mit ihnen abgestimmt seien. Im Marburger Rathaus regiert eine Koalition aus SPD, Grünen und Klimaliste. Zudem wollen sie, dass mit dem Klinikum kein Wahlkampf gemacht wird.

Unterdessen unterstützt der SPD-Unterbezirksvorsitzende Sören Bartol den Vorstoß von Spies. Dass es kein Verkaufsangebot des Klinikbetreibers gebe, könne nicht als Ausrede gelten, so Bartol: „Wenn der politische Wille da ist, kann auch die Landesregierung umgekehrt auf den Klinikbetreiber mit einem Angebot zugehen.“ Klar sei, dass die Privatisierung ein schwerer Fehler war und bleibe.

Derzeit sind die Verhandlungen zwischen der schwarz-grünen Landesregierung und dem privatisierten Uni-Klinikum festgefahren. Bis zum Jahresende muss ein neuer Zukunftsvertrag stehen. Sonst droht ein zermürbender Rechtsstreit. Unterdessen seien die Belastungen für viele Beteiligte am Universitätsklinikum zunehmend unerträglich, berichtet Spies: „Das Vertrauen in erfolgreiche Lösungen unter den aktuellen Verhältnissen scheint mir auf dem Nullpunkt angekommen zu sein.“ Zudem sei das mittelhessische Uni-Klinikum keine lokale Angelegenheit, „sondern Rettungsanker für schwerstkranke Patientinnen und Patienten aus mehr als der Hälfte Hessens“. Deshalb sei es fair, die einmaligen Sondereinnahmen gemeinsam mit dem Land dafür einzusetzen, dass die Menschen gut versorgt werden.

Die hohen Steuereinnahmen der Universitätsstadt gehen auf den Pharmastandort der ehemaligen Behringwerke zurück. Seit Anfang 2021 produziert Biontech seinen Corona-Impfstoff in der Universitätsstadt, was Marburg noch wohlhabender gemacht hat. Da die zusätzlichen Steuereinnahmen aus dem Gesundheitswesen stammen, hält Spies es für richtig, „damit auch ein drängendes Problem des Gesundheitswesens zu lösen“.

Vom Leuchtturm zur politischen Dauerbaustelle

Das Universitätsklinikum Gießen und Marburg wurde 2005 und 2006 als „Leuchtturmprojekt“ der hessischen CDU-Regierung unter Roland Koch fusioniert und privatisiert. Es ist bis heute das einzige Uni-Klinikum Deutschlands, das privatisiert wurde. Vor allem in Marburg ist das Großkrankenhaus seitdem eine politische Dauerbaustelle mit zahlreichen Demonstrationen und Protesten. Seit der bisherige Krankenhausbetreiber Rhön von Asklepios übernommen wurde, streiten sich Land und Asklepios um die finanzielle Zukunft.

Gesa Coordes

Bild mit freundlicher Genehmigung von Lars Bieker